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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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schwankte, ein anderer war sicher, daß der Mann als Spielbankbesucher an einem Abend zweitausend Mark verloren hatte.
    Der Kriminalkommissar wußte auswendig, daß der Regierungsamtmann mit der abartigen Passion diesen Betrag auch nicht annähernd abgehoben hatte, und griff zu. Wirth wurde nach Dienstschluss unauffällig festgenommen und der Haftbefehl am nächsten Morgen nachgereicht.

IV
    Die ersten Tage nach der Zulassung der Ritt-Aktien an der Frankfurter Börse, die Schiele trotz aller Widerstände bereits Ende Mai erreicht hatte, erlebte Martin in Zürich, nicht auf der Flucht vor seinem eigenen Mut, sondern um seine Mutter in die Klinik Vernier zu begleiten.
    Der Professor, langjähriger Dozent an der Sorbonne, war ein bekannter Sonderling und ein berühmter Arzt; er litt an der seltsamen Marotte, in seiner Umgebung Kranke nicht ertragen zu können, und war so ein Feind seines Rufes, der ihm Gesunde und Kranke aus aller Welt zuführte. Sie mußten oft lange warten, um von seiner winzigen Klinik angenommen zu werden, die zugleich eine bauliche wie eine medizinische Rarität war: auf halber Höhe des Berges gelegen, der einen schönen Rundblick über Stadt und See erlaubte, glich sie mehr dem Gartenhaus eines Barockschlosses als einem Krankenheim.
    Der Arzt, der wie ein Tenor aussah, aber beileibe kein Modedoktor war, wiewohl er in Mode stand, duldete in seinem Haus nie mehr als fünf Patienten; er stellte nur Diagnosen und überantwortete dann alle Fälle zur Behandlung anderen Ärzten. Er bestand auf einer totalen Untersuchung, die mindestens zehn Tage dauerte, an denen der Patient, in einer Art seelischen Vakuums, von seiner Umwelt isoliert, mit den übrigen Insassen eine Einheitsdiät zu sich nehmen mußte.
    Nur der Fürsprache des Frankfurter Professors Sturm war es zu verdanken, daß Madame Rignier nach relativ kurzer Wartezeit in das ebenerdige Haus ziehen konnte, dem die Grünzweige geradezu in die Fenster wuchsen.
    »Hier wirst du dich wohl fühlen, Maman«, sagte Martin.
    »Certainement«, antwortete sie zerstreut, »aber es isch absolument …«
    »Ich weiß, ich weiß«, erwiderte er, »aber das möchte ich lieber von Professor Vernier hören.«
    Er freute sich, daß die lästige Untersuchung der Mutter an einem so paradiesischen Ort erfolgen werde, und versuchte, entgegen der Warnung seines Hausarztes, bei Professor Vernier mit der Besuchsregelung eine Ausnahme zu erreichen; doch der Hausherr war nicht zu sehen, und seine Assistentin, die wie ein Starlet aussah – die Krankenschwestern wirkten wie Mannequins –, beendete mit resoluter Höflichkeit den Abschied von Mutter und Sohn.
    Vielleicht ist es besser so, überlegte Martin, als er in sein Hotel zurückfuhr. Eva erwartete ihn; sie hatte hier bereits in den letzten Tagen gewohnt und war von Martin zur Telefonwache eingeteilt worden, da er während der Börsenschlacht stets erreichbar sein mußte.
    Dr. Schiele hatte mit beispielhafter Diskretion gearbeitet, so daß keinerlei vorzeitige Gerüchte entstanden waren. Die verschiedenen Ritt-Unternehmen wurden in dem von ihm erstellten Prospekt zu einer Firma zusammengefaßt, an der die Privatbank Wagenknecht – ausschließlich Ritt-Besitz – maßgeblich beteiligt war; als Hausbank nahm sie die Emission der Aktien vor, so daß Martin den Weg seiner Papiere genau verfolgen konnte.
    Der Jurist, der selbst ein Paket von zehn Prozent besaß, hatte das gesamte Ritt-Eigentum in Tausendmarkaktien zerstückelt, die vor drei Tagen zum Nennwert mit Kurs hundert in einer Stadt ausgegeben worden waren, deren City – teils freiwillig, da sie dem Manöver nicht traute, teils unter dem Einfluß Drumbachs – entschlossen war, nicht einzusteigen. Selbst Einzelgänger des Geldmarktes, Füchse von der Börse, blieben abseits; einige Zeitungen hatten in ihrem Handelsteil auf das drohende Rotations- Gesetzverwiesen, das der neuen Ritt-AG, träte es in Kraft, sehr enge Grenzen ziehen würde, und so war es nur zu kärglichen Kursgewinnen gekommen, die psychologisch eher als Rückschlag denn als Erfolg gewertet werden konnten. Man hatte nicht gewußt, wie die Masse der neuen Käufer reagieren würde, und da befürchtete Überraschungen nicht ausblieben, schienen sich die Vorhersagen der Fachleute zu erfüllen.
    Als Martin in das Hotel kam, las Eva den Tageskurier.
    »Hast du den Bonn-Bericht gesehen?« fragte sie.
    »Ja.«
    »Auch bezahlt?«
    »Nein«, antwortete Martin lächelnd, »nicht einmal bestellt –

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