Die wilden Jahre
zukam, stieg der zweite Beamte aus. »Herzlichen Dank, Kollege«, verabschiedete sich Krawuttke von seinem Münchner Helfer und gab ihm die Hand.
Der Neuangekommene setzte sich ans Steuer, Guido mußte sich neben ihn setzen.
»Alles hat geklappt«, sagte der Fahrer, während er Krawuttke seine Aktentasche reichte; dann fuhr er an.
Der Kriminalkommissar las die Unterlagen. Durch den Rückspiegel erkannte Guido Manuskripte und Zettel, die aus seinem Schreibtisch stammten.
Sie hatten es eilig, missachteten auf der Autobahn hinter Stuttgart eine Beschränkung der Geschwindigkeit, wurden von einer württembergischen Verkehrspatrouille gestoppt, wiesen sich aus und konnten ungehindert weiterfahren.
Krawuttke packte die Unterlagen ein und sah wieder auf die Uhr. Hinter Mannheim verstopfte das Wirtschaftswunder die Autobahn, eine lange, endlose Kolonne staute sich an der gefährlichsten Stelle. Der Fahrer fluchte, und Guido genoß es, daß sie nur im Schritt vorankamen. 100 Meter, Halt. 30 Meter. Stop.
»Zu dumm«, schimpfte der Kriminalkommissar, »aber Rothauch wartet in jedem Fall noch auf uns.«
Der Prominentenjäger, dachte Guido, also geht es um Martin Ritt, dem ich einen Dienst erweisen wollte. Einen Bärendienst? Er hatte weder zufällig noch fahrlässig wörtliche Zitate aus Geheimprotokollen in seiner Artikelserie verwandt. Um zu zeigen, wie gut er informiert war, hatte er versucht, den Anschein zu erwecken, noch weit besser informiert zu sein. Informiert ist gut, überlegte der Reporter mit melancholischer Belustigung, so darf ich nun ausbaden, daß ein Volksvertreter in seiner Wanne saß, als ich kurz an seinen Schreibtisch ging …
Sie erreichten Frankfurt noch vor dem Ausbruch des Stoßverkehrs, fuhren über die Hauptwache, hielten am Portal des riesigen Gerichtsgebäudes, das mächtig, drohend und verschmutzt war, steingewordene Verkörperung einer Rechtssprechung, wie sie Guido mitunter sehen wollte.
Er wurde durch das Gewirr der Gänge geführt und mußte dann im Vorzimmer warten, durch das der Kommissar mit gewichtigen Schritten stapfte; ohne um Erlaubnis zu fragen, betrat er den Dienstraum des Staatsanwalts.
Er brauchte achtzehn Minuten für die Schilderung seiner Tüchtigkeit. Dann kam er zurück und winkte dem Reporter. Rothauch saß an seinem Schreibtisch, unter dem Bild des Bundespräsidenten, der mild aussah, ein braver Mann, väterlich, keiner, der Geschichte machte – und Guido dachte flüchtig, wie konsequent man das Konterfei des finsteren Vorgängers gegen das Bild des friedlichen Nachfolgers ausgewechselt hatte und wie inkonsequent man bei Beamten verfuhr, deren Auswechslung überfällig war.
»Wir kennen uns ja bereits flüchtig«, begann der Staatsanwalt geschäftig, »und ich bedauere, daß wir unter diesen Umständen unsere Bekanntschaft erweitern …«
»Sie bedauern einen Dreck«, unterbrach ihn Guido betont provokant, »und wir kennen uns auch gar nicht so flüchtig.« Er sah seine Manuskripte auf dem Schreibtisch des Staatsanwalts.
Rothauch folgte seinem Blick. »Richtig«, sagte er, »jetzt können Sie für Ihre neue Serie aus eigenem Erleben Erfahrungen sammeln.« Mit magerem Lächeln setzte er hinzu: »Ich bin sehr für die Pressefreiheit, wirklich – doch wenn Dilettanten über juristische Dinge schreiben, kommt meistens ein böser Unsinn heraus.« Er nickte ergeben. »Aber wir sind es ja gewohnt. Um es gleich zu sagen: Ich trage es Ihnen nicht nach, daß Sie mich sogar persönlich …« Er winkte großmütig. »Aber so setzen Sie sich doch.«
»Das ist erst ein Anfang, Herr Staatsanwalt«, reizte ihn Guido.
»Unterhalten wir uns über wichtigere …«
»Ich halte die Feststellungen für nicht unwichtig«, griff der Reporter an, »einen unbescholtenen Staatsbürger aus dem Bett zu holen, ihm einen Anwalt zu verweigern, ebenso ein Gespräch mit seinen Angehörigen und seinem Arbeitgeber, ihn in einer Art behördlichen Kidnapping in rasender Fahrt …«
»Darf ich Ihnen sagen, für wie wenig ratsam ich es halte, diesen Ton anzuschlagen?«
»Darf ich Sie fragen, wann man mich endlich mit einem Anwalt sprechen läßt?« erwiderte Guido.
»Haben Sie denn einen?« fragte der Staatsanwalt.
»Noch nicht, aber …«
»Und bis Sie ihn gefunden haben«, schlug Rothauch im Plauderton vor, »könnten wir uns vielleicht sachlich unterhalten.«
»Gut«, erwiderte der Reporter. Obwohl zum ersten Mal verhaftet, war er doch mit den Bräuchen der Staatsanwälte vertraut:
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