Die wilden Jahre
ins Haus gegangen, um sich umzuziehen, wodurch für Martin eine der wenigen Minuten gekommen war, in der Eva allein um ihn war. Er zog sie an sich.
»Nimm deine verfluchte Hand von meiner verfluchten Haut!« sagte sie lächelnd.
»Herrlich«, entgegnete Martin. »Und so leben wir wie Brautleute im Haus des Pfarrers. Schlimm?«
»Die Enthaltsamkeit?« fragte Eva spöttisch. »Oder meinst du deine Lieben?«
»Ich weiß, daß Petra kratzbürstig ist«, erwiderte er.
»Es ist ihr Charme …«
»Ich würde es verstehen«, Martin wurde ernsthaft, »wenn du auf und davon gingst …«
»Ich bin nicht zimperlich«, erwiderte sie, »außerdem habe ich mich verbessert. Bisher war ich die Freundin eines Ehemanns, der gleichzeitig auch noch mit seiner Mutter und seiner Tochter verheiratet ist – und jetzt«, Eva nickte ihm freundlich zu, »sind wir wenigstens zu dritt in diesem Familienharem.«
»Kluge Hexe«, entgegnete er, »hübsches Aschenbrödel.« Er wollte sie küssen, aber Petra kam aus dem Haus und pfiff schon von weitem, um auf sich aufmerksam zu machen.
»Störe ich?« fragte sie anzüglich.
»Sei eine artige Tochter«, erwiderte Martin, »setz dich und halt den Mund.«
»Wie du wünschst, Papi«, sagte Petra. »Und wenn ich brav bin, nicht, dann schenkst du mir auch eine Zuckerstange?«
»Sogar eine Portion Eis zum Dessert.«
»Eis macht dick«, erklärte Petra, betrachtete Eva und fragte: »Sie essen sicher auch kein Eis?«
»Mit Vorliebe«, antwortete Eva.
Sie lagen in der Sonne und überließen sich widersprüchlichen Gedanken, die Petra mit der Frage beendete: »Sind Ihre Haare eigentlich getönt, Eva?«
»Nein.«
»Dann haben Sie ihre Haut gefärbt.«
»Warum?« fragte Eva lachend.
»Ich meine – weil Rotfüchse doch sonst kein Pigment haben.«
»Manche schon …«
»Außerdem«, kam ihr Martin zu Hilfe, »ist Eva kastanienbraun.«
»Du mußt es ja wissen«, antwortete Petra gereizt.
Madame kam aus dem Haus, und sie erhoben sich alle drei: Martin hastete ihr in langen Sätzen entgegen, Petra richtete den Liegestuhl, Eva rückte den bunten Schirm zurecht, da Madame Rignier der Sonne auszuweichen pflegte. Die Patientin nahm die dreifache Huldigung mit der majestätischen Gelassenheit einer Königinmutter entgegen.
»Quelle excitation!« rief sie lachend, womit ein gespannter Waffenstillstand eingeleitet wurde, zu dem es immer kam, wenn sie alle vier zusammen waren.
Es schien Eva, daß Madame Rignier besser aussah, und da sie mit geschultem Blick urteilte, vertraut mit femininen Verwandlungskünsten, vermutete sie, daß Madame sich wirklich erholt hatte. Eva war nicht entgangen, daß Martin häufig das Aussehen, mit dem sich eine Leidende tarnte, für gutes Aussehen gehalten hatte.
»Fühlen Sie sich wohler, Madame?« fragte Eva in französischer Sprache, und Petra, die es hörte, dachte aufgebracht: Muß denn diese Kanaille auch noch so gut Madames Sprache beherrschen …
»O ja«, bestätigte Maman. »Ich habe wundervoll geschlafen.« Ihre Augen trafen sich, keine wich der anderen aus, und allmählich ging auf beiden Gesichtern ein offener Blickwechsel in ein leichtes Lächeln über. »Wo haben Sie nur Ihr gutes Französisch her?« fragte Madame.
»Ich habe lange Zeit in Paris gelebt«, antwortete Eva.
»Als was?« fragte Petra barsch.
»Als Studentin.«
»Sie haben an der Sorbonne studiert?« fragte Madame.
»Ja – aber es ist nicht viel daraus geworden …«
Man merkte, daß Eva nicht über ihre Pariser Zeit sprechen wollte; Madame Rignier war zu höflich, um weiterzufragen, Martin kannte ihre Vergangenheit, und Petra schwieg, weitere Niederlagen fürchtend.
Erst seit zwei Tagen war Eva dazugekommen, ihre Sprachkenntnisse zu nutzen, da sie zuvor mit Madame kaum zu einer Konversation gekommen war, die über einen flüchtigen Morgengruß, über die Bitte, ihr ein Glas Wasser zu reichen, oder über ein mechanisches >comment ça va< hinausgegangen wäre.
Eva, stets auf der Hut, massiertem Misstrauen mit übergroßer Vorsicht begegnend, hatte sich in diesem Haus wie vor einer Kamera bewegen müssen, deren Auge seitdem nicht mehr so unerbittlich zu sein schien. Sie spürte, daß Madames Seitenblicke nicht mehr so prüfend, ihre Förmlichkeiten nicht mehr so steif waren. Der Druck einer Zerreißprobe milderte sich, und zu den Anzeichen der Entspannung, auf die Eva behutsam hoffte, gehörte auch Petras verstärkter Groll, der von der Befürchtung ausgelöst war, Maman könne
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