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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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tun«, gab Madame Rignier die Antwort. »Man muß es verbergen, vor ihm, vor Martin. Er darf es nicht wissen – er muß mich bis zum letzten Tag, bis zur letzten Stunde, so haben, wie er es sich vorstellt – er –«, sagte sie und schloß die Augen, während sie einem steinernen Gesicht ein furchtloses Lächeln abzwang, »er hängt so an mir – und Sie, Eva – Sie müssen – bitte …«
    Eva spürte, wie das Entsetzen in Erschütterung überging, spürte Schmerz und Angst, Rührung und Ohnmacht, spürte, daß ihre eigene Energie viel schwächer war als die Kraft dieser Sterbenden.
    »So«, sagte Madame Rignier im leichten Ton, »nun muß ich schlafen, und Sie, Eva, gehen jetzt und sagen ihm, daß es mir besser geht. Ich verlasse mich auf Sie.«
    Eva erhob sich. Sie konnte den Blick der Patientin nicht ertragen. Ihm ausweichend, betrachtete sie den Gobelin und las die lateinische Inschrift von der Liebe, die alles besiegt.
    Alles? fragte sich Eva und spürte zum ersten Mal, wie ungeheuerlich die Last sein würde, die ihr aufgebürdet war.
    Guido Brenner wußte, daß während eines Jahres in der Bundesrepublik tausend Jahre Untersuchungshaft unschuldig oder unnötig abgesessen wurden; er wußte, daß fast jeder dritte Untersuchungsgefangene nach Monaten oder Jahren wegen erwiesener Unschuld oder mangels Beweisen wieder entlassen werden mußte und daß in vielen Fällen die im Urteil verhängte Freiheitsstrafe kürzer war als die Dauer der U-Haft, obwohl sich das Strafmaß der Richter mit Vorliebe an der vor dem Urteil abgesessenen Zeitdauer orientierte.
    Guido wußte von Spitzeln, die man in die Zellen schickte; er erinnerte sich eines Falles, da ein U-Häftling in kurzen Abständen von Gefängnis zu Gefängnis verlegt worden war, um ihn nicht mit seinem hinter ihm herfahrenden Verteidiger zusammenkommen zu lassen. Es war ihm bekannt, daß mitunter Akten fahrlässig, oder auch nur bürokratisch, in den falschen Auslauf gelangten und den Staatsanwälten weitere Frist für ihre Ermittlungen bescherten.
    Obwohl der Reporter bisher viele Informationen gesammelt hatte, erfuhr er erst jetzt, was verschärfte Untersuchungshaft war, und begriff es rasch: totale Isolierung; kein Verteidiger; keine Zeitung; keine Post; kein Radio; endlos allein, in einer winzigen Zelle, scheinbar vergessen, einer amorphen Einsamkeit ausgesetzt und damit der vielleicht schlimmsten Tortur, die es für einen Gefangenen gab.
    Guido sagte sich, daß er die Tage zählen und die Nächte schlafen müsse, um nicht zusammenzubrechen und in Haftpsychose sich zu Aussagen herzugeben, die man wohl von ihm erwartete, bevor man ihm als Vergünstigung Normalhaft gewährte.
    Für den Anfang des Unheils, die Aussage des Zeugen Wirth, hatte Guido keine Erklärung, wohl aber für den Fortgang des Verfahrens. Es schien ihm immer klarer, daß hier Schein und Wirklichkeit, Tatsachen und Zufälle von fleißigen Wirkern zu einem Netz versponnen wurden, das man Martin Ritt über den Kopf werfen wollte.
    Daß er Ritt nicht schaden konnte, wußte er; wie er ihm helfen könnte, überlegte er, ohne einen Einfall zu haben. So blieb ihm nur, gegen Stunden und Tage anzukämpfen, die seine Nerven zerfetzten, seinen Verstand gefährdeten, ihn verleiteten, gegen die Zellentür zu rasen oder sich der Apathie auszuliefern. Nebulos spürte er, daß die Zeit, die sich an ihm verging, auch seine Waffe war und daß Rothauch, der Staatsanwalt, dieses Duell durchaus verlieren konnte.
    Man konnte Guido lange die Freiheit entziehen, aber kaum länger der Öffentlichkeit verheimlichen, daß er in Haft war. Ein Zufall würde es aufbringen, oder ein Mitwisser, obschon von der Polizei zum Stillschweigen verpflichtet, konnte es fahrlässig weitererzählen, eine Zeitung es aufgreifen, wodurch es auch der Mann erführe, um den es ging. Guido war sicher, daß Martin Ritt, wenn er erst einmal die glimmende Zündschnur erkannt hätte, sie unverzüglich löschen würde.
    Der Reporter überlegte angestrengt, wie er die Isolierung durchbrechen könnte. Ein Wärter wollte es ihm leichter machen, zu leicht, indem er sich bei dem Gefangenen als redselig erwies und jammerte, daß es ihm so schlecht gehe: drei Kinder, hohe Spitalrechnung durch eine kranke Frau, nicht einmal genügend Taschengeld für Zigaretten; eine erste Andeutung, daß sich gegen eine kleine Belohnung eine Nachricht aus der Zelle schmuggeln lasse.
    Genau das sei es, dachte Guido, worauf der Staatsanwalt wartet, um die

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