Die wilden Jahre
sich allmählich mit der Freundin des Vaters abfinden.
Petras Mutmaßungen erfüllten sich zwei Tage später. Sie saßen zusammen in der geschützten Pergola, Madame in ein buntes Plaid gehüllt, da vom Meer her, windig und salzig, die erste Kühle des Abends kam. Sie sahen Fischerbooten zu, die in Richtung Korsika ausliefen; ihre Kiele zerschnitten weich die sanften Wellen, und ein kleiner, blasser Mond erinnerte Madame Rignier daran, daß es für sie Zeit sei, zu Bett zu gehen.
Martin erhob sich, um sie wie üblich zu geleiten. Maman küsste ihn und sagte: »Nicht du heute –« Sie wandte sich lächelnd an Eva: »Würden Sie mir bitte helfen?«
Martin hob rasch den Kopf, Petra starrte Eva, die als einzige nicht überrascht zu sein schien, mit flammenden Augen an. Als sie gerade gingen, zischte sie: »Jetzt hat sie Madame auch noch einge …«
»Was sagt sie?« fragte Madame.
»Petra möchte«, übersetzte Eva, »auch einmal nachts mit einem Fischerboot aufs Meer hinausfahren.«
Eva sah sofort, daß Madames Zimmer der schönste Raum des Hauses war, aber mehr noch entzückte sie eine verspielte lebende Vergangenheit, in die sie trat. Es war, als sei, von Zauberhand gebannt, die Zeit an einer schönen Stelle stehen geblieben, eine Zeit, in der es noch keine Düsenjäger, Vernichtungswaffen, Benzinwolken und Lautsprecher gab, eine Zeit, so idyllisch und anheimelnd wie die Welt auf dem alten Gobelin über Madames Bett, mit dem Wasserschloss, den zarten Frauen, den jagenden Edelleuten und tollenden Hunden.
»Ich habe die Tapisserie Martin geschenkt«, erklärte sie, »aber er besteht darauf, daß sie in meinem Zimmer hängt, und weil sich filou sehr viel hier aufhält … Bitte«, bat sie Eva, sich zu setzen.
»Möchten Sie sich nicht hinlegen, Madame?«
»Ich werde es wohl müssen«, entgegnete sie, »ich bin leider nicht so gesund, wie ich sein …« Sie legte sich auf das Bett, Eva half ihr dabei. »Ich war sehr böse auf Sie«, begann Madame wieder, »eifersüchtig – ich habe Martin doch so lange nicht gehabt, und Mütter sind so unvernünftig und egoistisch …«
»Sagen Sie das nicht«, widersprach Eva, »Sie sind eine herrliche Mutter.«
»Finden Sie?« fragte Madame, und Eva sah in ein Gesicht, das durchströmt war von Zärtlichkeit, zeitlos geworden durch einen Traum, der unvergänglich schien, wenn er auch enden mußte.
»Ich habe mir lange überlegt, ob ich mit Ihnen reden darf«, sagte Madame, »ich sollte es nicht – noch nicht«, sie sprach, als zitiere sie, »es ist noch zu früh, aber …« Es war, als zwinge sie sich: »Es muß sein.« Ihre Stimme wurde dumpf. »Denn ich habe nicht mehr viel Zeit.«
»Ja – Madame –«, antwortete Eva unsicher, wieder von einer unbestimmten, ungewissen Vorahnung erfasst.
»Ich möchte mit Ihnen einen Pakt schließen, aber ich weiß nicht, ob ich mich auf Sie verlassen kann.«
»Sie können es, Madame.«
»Bleibt es unter uns, was wir besprechen?«
»Ja«, entgegnete Eva.
»Auch vor ihm?«
»Auch vor Martin.«
»Schwören Sie es«, sagte Madame.
»Ich schwöre es«, erwiderte Eva mit fremder Stimme.
»Ich werde Ihnen Martin überlassen«, fuhr Madame fort, »bald schon – ich trete ihn ab – an Sie. Es wäre mir am Anfang lieber gewesen, Sie hätten mir weniger gefallen – aber jetzt … –« Sie betrachtete Eva mit erloschenem Blick, mit einem Gesicht, das wie verlassen war, das die Beherrschung fallenließ wie eine Maske und sich gab, wie es war: müde, ergeben, hoffnungslos. »Unter einer Bedingung«, sagte sie hart, »einer einzigen. Sie helfen mir. Es wird schlimm sein für Sie, Eva.« Ihre Stimme wurde wieder geschmeidig. »Aber es wird nicht mehr sehr lange dauern …«
»Madame, wovon sprechen Sie?« fragte Eva mühsam.
»Er weiß es nicht«, entgegnete Madame Rignier, die Stimme dämpfend. »Ich bin krank – unheilbar – Leukämie – eine gnadenlose Krankheit mit barmherzigen Pausen – und diese – sicher die letzte – wird bald …«
Kälte hüllte Eva ein. Blutkrebs, dachte sie, krankhafte Vermehrung der weißen Blutkörperchen, letzte Remission, aussichtslos – und sie wehrte sich, vergeblich, gegen den Eiswind der Vergänglichkeit, gegen den Anhauch des Todes.
»Denn jetzt lügt auch schon Professor Sturm, mein Freund.«
»Er hat die Diagnose gestellt?« fragte Eva leise.
»Er – und Professor Vernier und viele andere Ärzte vorher.«
»Aber man muß doch etwas …«
»Man muß etwas
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