Die wilden Jahre
Gaststätte sah Martin, daß sie sowohl kulinarische wie ästhetische Genüsse bot. An den Wänden hingen Werke berühmter Maler, deren Wert der bekannte Gastronom meist schon vor den Kunsthändlern erkannt hatte.
»Etwas Saumon fumé?« fragte Panetzky, »oder vielleicht die Leberknödelsuppe? Sie ist weltberühmt«, er lachte lautlos, »am besten beides – Sie brauchen weder auf Ihre Figur noch auf ihr Blutbild zu achten.«
»Zuerst Lachs, dann Suppe«, erwiderte Martin.
»Aber übernehmen Sie sich nicht – das farcierte Steak müssen Sie noch schaffen. Sie wissen, es ist eine alte Streitfrage, ob die Gänseleber getrüffelt sein soll oder nicht. Ich bin dagegen, aber der Chef ist dafür …«
Panetzky wählte für sich Parmaschinken, schnitt das Fett ab, aß Schwarzbrot ohne Butter dazu und bestellte hinterher gegrillten Rheinsalm.
Er freute sich über Martins Appetit, und wieder leuchtete sein Gesicht rosig.
»Sie brennen sicher darauf«, sagte er, »mit mir über etwas anderes zu sprechen als über Pasteten. Aber ich unterhalte mich bei Tisch weder über Schicksale noch über Geschäfte.«
Der Ober brachte dem Stammgast unaufgefordert ein Glas Wasser, Panetzky schüttete drei Tabletten auf die Handfläche, schluckte sie mit angeekelter Miene, spülte das Wasser hinterher und fragte dann Martin:
»Rot oder weiß?« Er wartete die Antwort nicht ab, sondern bestellte eine Flasche Dézaley mit einem Glas. »Ich freue mich«, wandte er sich wieder Martin zu, »daß Sie schon jetzt den Weg zu mir gefunden haben.« Er schob den Teller mit dem Fisch beiseite und verlangte eine halbe Flasche Mineralwasser: »Passugger – aber vorgewärmt, bitte … Übrigens sollten Sie unbedingt als Dessert den Salade d'orange à la mode du patron nehmen. Sie werden es nicht bereuen, er ist mit Walderdbeeren und Krokant angemacht.« Er winkte dem Ober und gab die Order. »Aber ich wäre bestimmt von mir aus auf Sie zugekommen – freilich erst, wenn in Deutschland wieder einigermaßen geordnete Verhältnisse …«
Er bot Martin eine Zigarette an.
»Leider darf ich nicht mitrauchen – mein Herz macht mir auch Kummer.« Die Aufregungen des Krieges hätten ihm mehr zu schaffen gemacht, als er zugeben wolle. »Und jetzt können wir langsam zur Sache kommen …«
»Zur Sache Kahn«, ergänzte Martin.
»Einen Mokka?«
»Gern.«
»Einen Mokka!« rief Panetzky dem Kellner zu, »und einen Kaffee Hag für mich.« Dann faltete er mit seinen Kinderhänden die Serviette zusammen, legte sie aufeinander und begann von neuem.
»Wie sind Sie überhaupt auf mich gekommen?«
»Durch Zufall.«
»Findigkeit schätze ich sehr«, erwiderte Panetzky. »Ich mag Hohlköpfe nicht – Ihr Vater war übrigens ein kluger Mann – und deshalb sind Sie jetzt«, sein Gesicht schien vor Freude zu glänzen, einem Mitmenschen helfen zu dürfen, »deshalb sind Sie jetzt kein armer Sohn – Sie haben Geld, Ritt, schöne, feste, harte Dollars – und wenn Sie sie richtig anlegen, dann werden Sie ein reicher Mann«, er lächelte ein wenig kläglich, »der dann auf seine Gesundheit achten muß wie ich.«
»Danke für die Einladung«, sagte Martin.
»Ich bin ein Fachmann für die rechte Geldanlage. Verlassen Sie sich auf mich. Sie bekommen von mir einen Barscheck – lassen Sie sich am besten auf der Bank nicht als Deutscher erkennen, denn deutsches Eigentum ist vorläufig noch beschlagnahmt –, und dann gehen Sie in ein Büro, das Liebesgaben verschickt. Sie kaufen am besten für den ganzen Betrag Pakete mit Lebensmitteln und Zigaretten, adressieren sie an sich selbst, nehmen die Ware dann in Deutschland in Empfang. Natürlich müssen Sie das staffeln, sonst wird der deutsche Zoll auf die kleine Transaktion aufmerksam – dann sind Sie fürs erste einmal …«
Er zog einen Bleistift aus der Tasche und rechnete rasch. Er war über die Preise des Schwarzmarktes in Deutschland genau informiert. Er wußte, wie viele Päckchen Zigaretten für ein gebrauchtes Auto aufzubringen waren und mit wieviel Konserven man ein Haus erwerben konnte. Er sagte, daß in wenigen Monaten schon die deutsche Währungsreform käme und dann der Weg zur ganz großen Karriere frei sei. »Für Leute«, schloß er, »mit Verstand, mit Beziehungen und mit Anfangskapital.«
Er ließ sich die Rechnung geben.
»Verstand haben Sie, sonst hätten Sie mich nicht gefunden – Beziehungen sicher auch, sonst wären Sie nicht aus Deutschland herausgekommen – und das Geld
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