Die wilden Jahre
Felix.
Der Arzt nickte.
»Ernsthaft?«
»Ich verspreche immer ernsthaft, fellow.«
»Wie lange bin ich schon hier?« fragte Felix.
»Vier Tage.«
»Und wie lange werde ich …«
»… bleiben müssen? Das hängt unter anderem davon ab, wie lange du brauchst, um davon – loszukommen.« Er setzte sich und klopfte seinem Patienten auf die Schulter.
»Ich will's versuchen«, antwortete der Kranke.
»Und dann soll ich dich noch von Susanne grüßen«, verabschiedete sich der Arzt. »Sie bewundert dich, weil du –«
Felix sah Dr. Snyder nach. Ein feiner Kerl, dachte er und ein tüchtiger Arzt, kein Mensch weiß, was er noch in der Army zu suchen hat und warum er nicht längst wieder zu seinem Lehrstuhl zurückgekehrt ist; vielleicht nur, damit er dich heilt, sagte sich Felix und lächelte befreit.
In dieser Nacht schlief Felix ruhig, und in den nächsten drei Tagen blieb sein Bett reinlich und die Zelle sauber. Sie roch nur ein wenig nach Gummi, war zu dunkel und hatte keinerlei Einrichtung, damit sich der Patient nicht verletzen konnte. Sie haben an alles gedacht, überlegte Felix, sogar an eine neue Flasche Whisky neben der Matratze.
Er nahm sie und schüttete sie in den Ausguß, und Mac, der das Abendessen brachte, sagte:
»Wer wird denn so ein Verschwender sein, Captain?« Er stellte das Tablett auf einen Schemel, den er nach Tisch jeweils wieder mitnahm. »Hätten Sie ja auch mir schenken können«, brummte er, »mir hat ja der Doc das Saufen nicht verboten.« Er ersetzte die Flasche durch eine volle.
»Laß das, Mac«, warnte Felix.
»Erstens ist es ein Befehl vom Doc«, entgegnete der kräftige Krankenwärter, »und dann«, setzte er blinzelnd hinzu, »könnte es ja sein, daß du wieder Durst bekommst.«
»Gibt es viele solche – wie mich?« fragte Felix.
»Du bist uns der liebste, Captain«, erwiderte Mac. »Aber ärgere dich nicht, wenn ich dir sage, daß du auch der erste bist. Wenn wir hier hinauskommen, Captain, dann heben wir einen.« Mac grinste. »Du kriegst Apfelsaft – und ich natürlich …« Er deutete auf das Etikett der vollen Flasche.
Felix widerstand lange, überwand die drängende, zwingende Versuchung, spülte den trockenen Mund mit Wasser aus, bekämpfte die Kopfschmerzen mit Lesestunden, dachte nicht an Ritt, sondern an Susanne, sah nach vorn, nicht nach hinten. Er gab Dr. Snyder recht und sprach sich überzeugend wie überzeugt so lange frei, bis er merkte, daß ihn niemand anklagte.
Er dachte an Martin, und er verstand, warum der Freund gleich bei der ersten Begegnung so gleichgültig und selbstverständlich über sein Geständnis hinweggegangen war. In der Sache hatte ich recht, dachte der Captain, in der Methode unrecht, nur etwas war eine unwiederbringliche Dummheit gewesen: in der Nacht vor der Hinrichtung nach Landsberg zu fahren. Aber an diesem Abend habe ich Susanne gefunden. Susanne …
Er wich seiner Zukunft nicht aus. Er würde das Mädchen heiraten, mit ihr nach Amerika fahren. Lebte er sich in den amerikanischen Alltag ein – einen Alltag ohne Krieg –, fühlte Susanne sich dort zu Hause, so wollten sie drüben bleiben, in New York oder in Kalifornien, irgendwo. Felix würde sein Studium der Literatur fortsetzen und die akademische Karriere einschlagen. Er lächelte. Vielleicht begegne ich dem Doc, dachte er, auf einer dieser zahllosen Partys; er wird mir einen Orangensaft in die Hand drücken und sagen: »Nimm deine Vitamine, mein Junge«, und dabei selbst einen kräftigen Schluck Whisky kippen. »Dich habe ich geheilt«, würde er in seiner unernsten Sprechweise hinzusetzen. »Doch wer heilt mich?«
Felix zählte zwar die Tage, aber er hatte keinen Begriff für die Zeit. Bob und Mac lästerten nicht mehr darüber, daß der Captain nicht trank, und Dr. Snyder war fast beunruhigt ob so vieler Disziplin. Felix war immer noch isoliert und sah keinen Menschen außer seinen drei Betreuern.
An einem dieser zäh-klebrigen, ausgewalzten nichtsnutzigen Abende überraschte sich Felix dabei, daß er den Schnaps wieder interessiert ansah. Regelmäßig und freiwillig hatte er seine Antabustabletten geschluckt. Es erging ihm jetzt wie einem Raucher, der nach erster Entwöhnung feststellt, keine Lust mehr auf eine Zigarette zu haben, und ein paar Probezüge nimmt, um sich selbst zu beweisen, wie unabhängig er schon vom Nikotin sei.
Felix nahm einen Probeschluck: mehr Neugier als Lust, mehr Langeweile als Zwang.
Er wartete auf die Explosion in seinem
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