Die wilden Jahre
es war Felix recht, daß er es mit Hilfe der unberührten Flasche Whisky beweisen konnte.
Am Abend kam Bob; er schob seinen Kopf vorsichtig durch die Tür, lächelte Felix zu wie ein Riese, der ein Kind nicht erschrecken möchte.
»Brav, Captain«, sagte er, »und hier – deine Tabletten.«
Felix schlief schlecht. Die Nacht war lang. Den Whisky ließ er noch immer stehen, obwohl ihn zum erstenmal seit dem Zusammenbruch im Klub nach einem Schluck Schnaps gelüstete. Die Versuchung war nicht sehr schlimm. Er wurde mit ihr fertig und dachte: die Schikane dieser Kur besteht vorwiegend aus Langeweile …
Sein Mund war wie ein Schwamm. Zwischen seinen Kiefern und unter der Zunge saß die Sucht. Sein Herz schlug schneller, seinen Hinterkopf verwüsteten Schmerzen. Er atmete heftig, starrte zur Decke. Er wehrte sich verzweifelt, machte das Licht an, sah die Flasche, mied und verachtete sie in zwecklosem Zorn. Er steigerte sich in die stumme Raserei des unglücklichen Liebhabers, der die begehrte Frau hassen möchte, weil sie seine Werbung ausschlug und er nicht von ihr lassen kann.
Felix verfolgte sie mit bodenlosem Haß; er griff zur Flasche und nahm sich – so schien es ihm – gewaltsam, was sie ihm nicht geben wollte.
Vergewaltigung, dachte er mit einem dünnen Lächeln; er spürte die saugende, ziehende Gier im Mund, merkte wie seine Zunge weich und geschmeidig wurde, als der Whisky über sie lief, den er sich so lange vorenthalten, obwohl er ihm von Dr. Snyder genehmigt war. Er wollte nicht ärztlicher sein als der Arzt, und so trank er gierig.
Die Schmerzen waren weg. Sein Puls wurde normal, die Zelle wurde zur Weide: zur grünen Wiese, über die er schritt, jung kräftig, gesund.
Unvermittelt, noch im Schritt, fiel er auf den Rasen, der dunkel wurde und nach Gummi roch.
Bauchschuß, dachte Felix, als es seine Eingeweide zerriß.
Seine Magenwände explodierten, gaben das Essen frei, halbgar und säuerlich schoß es hoch. Der Ekel überzog seinen Körper wie eine Hornhaut. Er spürte eine Übelkeit wie nie zuvor. Die Luft blieb weg, als er sich fortschob, langsam auf die Tür zu.
Er richtete sich auf, fiel um, schaffte es beim zweitenmal, trommelte mit den Fäusten gegen die Tür, aber die Gummimatte schluckte den Schall. Keiner half ihm, er blieb allein, eine Nacht lang, mit Zerrbildern des Grauens.
Ein zweites Mal ergriff Felix die Flasche. Der Schnaps schmeckte nach Magensäure, aber er trank, wütend und gierig, erinnerte sich, daß Flüssigkeit bei Bauchschuß tödlich ist, trank weiter und dachte verschwommen: Schnapstod, Stinktod, Scheißtod, Heldentod …
Durch das kleine Fenster kam der Morgen, grau, fade. Das Licht wälzte sich wie Nebel in die Quarantänezelle, und auf ihm ritt, wie auf einem Hexenbesen, der Mann in der blutroten Gabardinejacke mit den Kunststoffknöpfen. Felix nahm die Flasche, trank, kotzte, warf sich gegen das Gespenst, während ihm Tränen über das Gesicht liefen.
Seine Unterlippe blutete. Ein Strick lag um seinen Hals. Der Henker grinste: Hanselmann, der kleine Bursche mit dem roten Gesicht und dem dunklen Anzug.
»Wollen Sie vorher etwas Haarwasser trinken?« fragte er. »Ach so, Sie dürfen ja nicht. Fünfzig Prozent Alkohol … Dann stecken Sie Ihren Kopf doch gleich in die Schlinge! Keine Angst, es tut nicht weh. Sie spüren garantiert nichts. Ich stamme aus einem alten Henkergeschlecht. Mein Vater war schon Scharfrichter, mein Großvater auch, ich lernte von der Schlinge auf. Fragen Sie doch die Leute! – Nun machen Sie schnell, geben Sie mir schon Ihren dummen, langen Hals! Ausgerechnet bei Ihnen soll's weh tun? Sechstausend habe ich bei den Braunen hingerichtet und dreihundert bei den Olivgrünen, und da kommen Sie und wollen Sperenzchen machen?«
Endlich, dachte Felix ergeben. Er sah auf die Bodentreppe des Blutgerüsts. Wenn der Rotgesichtige auf den Knopf drückt, falle ich, breche den Halswirbel – und alles ist vorbei.
Mit einem Ruck öffnete sich die Todesklappe. Felix fiel weich. Der Orkus bestand aus Gummi. – und an einem Tisch saßen zwei alte Herren und spielten Karten. Der eine war Kommerzienrat Lessing, sein Vater; er trug ein Braunhemd und sagte: »Staunst du, Felix, was – bin ein alter SA-Mann geworden. Und wenn das Judenblut vom Messer spritzt!« Er kicherte. Der alte Ritt, der Spielgefährte seines Vaters, legte die Karten weg und kicherte auch. »Ich hab' ihn umgedreht.«
»Ganz schöner Durst, Captain«, sagte Bob, der das
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