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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Frau über Sechzig verwandelt einen Mann über Vierzig in einen Jungen, der stolz der Mutter sein Spielzeug zeigt.
    Eva war verwirrt und auch ein wenig betroffen. Hübsch anzusehen, überlegte sie, rührend und ein bißchen lächerlich. Theater? Kaum!
    Aber etwas mißfällt mir. Warum eigentlich? Es wird Zeit, endlich zu gehen …
    Doch sie blieb, unwillig über sich selbst.
    »Herr Präsident Drumbach«, stellte Ritt vor, »der Chef eines westdeutschen Bankkonsortiums.«
    Er geleitete seine Mutter zum nächsten Gast. »Herr Generaldirektor Nüsslein …«
    Madame Rignier reichte ihm die Hand, über die sich der kleine dicke Nüsslein mit unerwarteter Behendigkeit beugte, und sah zum nächsten.
    »Herr Wagenknecht«, fuhr Ritt fort, unterband die Höflichkeiten des beflissenen Bankiers und ging zum nächsten weiter: »Das ist Herr Doktor Schlemmer, du weißt, Maman, der Staatssekretär«, und zog sie weiter.
    Ein Diener reichte Martin einen Stapel neueingetroffener Glückwunschtelegramme. Der Gastgeber blätterte sie flüchtig durch. Nur ein Kabel aus New York fand sein Interesse. Es stammte von Felix und Susanne. Obwohl die beiden jetzt schon seit acht Jahren in Amerika lebten, hatte Martin sie öfter gesehen, denn er war in New York bereits so zu Hause wie in aller Welt, Reisender eines beachtlichen Erfolgs.
    Man wußte auch in der Wallstreet, daß aus Martins Firma ein mächtiges Unternehmen geworden war. Felix, der sich im Leben weiterhin als Theoretiker erwies und die akademische Karriere eingeschlagen hatte, war stolz auf den Freund, ohne seinen Aufstieg begreifen zu können.
    Mit Glückwünschen kündete er wieder einmal die überfällige Europareise an, zu der Susanne drängte. Die junge Frau aus Deutschland war seit der Geburt ihres zweiten Sohnes ein wenig voller, doch kaum älter geworden. Ihr strahlendes Lächeln und ihre blanken Augen gefielen in New York so gut wie in München, der Stadt ihres Heimwehs.
    Ein Kellner brachte Madame Rignier ein Glas Champagner.
    »Mais non«, wehrte sie ab.
    »Juste une gorgée, maman«, bat Martin.
    »A la bonneheure«, sagte sie glücklich, »auf disch, mon petit filou.«
    Er holte ihr einen Stuhl, rückte ihn zurecht.
    »Du hast viele Gäste«, sagte sie stolz und sah sich gutwillig und ein wenig verwundert um. Vor allem betrachtete sie die Damen, überlegen und auch berechnend.
    »Welche von ihnen gefällt dir am besten?« fragte sie.
    »Du natürlich.«
    »Flatteur«, entgegnete sie, »après moi?«
    Martins Augen suchten Eva, konnten sie nicht finden; er wollte nicht glauben, daß sie schon gegangen war. »Eigentlich gar keine«, antwortete er zögernd.
    »Mon pauvre petit.«
    »Wie geht es dir heute, Maman?«
    »Viel besser als gestern«, erwiderte sie rasch.
    »Strengt es dich nicht zu sehr an?«
    »Nein, gar nicht, ich bin doch nur ein bißchen erkältet, und ich muß ja nicht lange bleiben.«
    »Soll ich dich zurückbringen?« fragte er.
    » Tout de suite!« Sie stand sofort auf, weil sie darauf brannte, Martin das Geschenk zu zeigen, das sie ihm überreichen wollte.
    Sie hustete, ihre Augen glänzten, das Gesicht war leicht gerötet.
    Sie hat Fieber, dachte Martin und nahm sich vor, gleich den Professor, der sie behandelte, anzurufen. Die Luft ist zu rau für sie, dieser scheußliche Herbst. Sie braucht Blumen und Gärten, Ruhe und Sonne. Sie braucht die frische Brise des Meeres, blauen Himmel, sanfte Wellen.
    Martin brachte seine Mutter in seine Wohnung zurück. Sie lag nebenan. Der dreizehnte Stock des Martinsturmes wurde zum größten Teil privat genutzt. Der Hausherr konnte sein Finanzierungsinstitut ohne Bankschalter, so er wollte, im Pyjama vom Schlafzimmer aus leiten.
    Er sah sofort den Gobelin, der die ganze Wand hinter seinem Schreibtisch bedeckte, und sie erklärte ihm, daß es eine Renaissancetapisserie aus Frankreich sei, die sie schon vor Monaten während ihres letzten Besuchs in einem provenzalischen Schloß gefunden hätte, was sie seitdem um den Schlaf gebracht habe wegen der ständigen Versuchung, ihm das Präsent vorzeitig auszuhändigen.
    Er betrachtete die breite Bordüre mit den allegorischen Frauenfiguren, den Raubtieren, Elefanten, Blumen und Früchten, ließ sich von der Parklandschaft mit dem phantasievollen Wasserschloß verzaubern und war einer dieser jagenden Edelleute zu Pferd, die sich mit flinken Hunden tummelten und denen die Patina von vier Jahrhunderten nichts hatte anhaben können.
    Martin las auf dem Gobelin: AMOR VINCIT

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