Die Wilden Küken - Auf der Alm (German Edition)
zu Gelatino, der inzwischen schon so weit vorausgewandert war, dass er wie eine dieser Figuren in den Landschaften von Modelleisenbahnen wirkte. Winzig im Vergleich zur mächtigen Bergwelt. »Aber gar nichts!«, sagte Lilli ausweichend, verschwieg die Herzchenbude und den Zustand der Alm und erzählte stattdessen lieber vom frischen Quellwasser und ihrem nächtlichen Blick aus dem Giebelfenster. Luisa berichtete von den Hühnern, die nachts im Gewächshaus wohnten und tagsüber mit ihrem Gackern Herrn Röhrich zur Verzweiflung trieben. Lilli konnte sich das zornesrote Gesicht ihres Nachbarn lebhaft vorstellen und lachte.
»Aber über die Eier, die wir ihm abgeben, freut er sich!«, sagte Luisa und lachte ebenfalls. Und als wollte er mitlachen, hörte Lilli im Hintergrund das fröhliche Bellen von Sneaker. Dann kam auch noch ihr Vater an den Apparat, und seine Stimme klang so vertraut und nah, dass Lilli eine Woge von Heimweh erfasste.
Ole wartete ein paar Schritte entfernt, bis Lilli zu Ende telefoniert hatte, und wanderte dann gemeinsam mit ihr im Eiltempo zum Parkplatz vor dem Staigerhof, wo Gelatino schon ungeduldig an seinem Kleinbus lehnte.
Gleich beim Einsteigen verschlug es Lilli den Atem. »Igitt, was stinkt denn hier so?« Sie warf ihren Rucksack hinten rein und rutschte neben Ole auf die Beifahrerbank.
Ole und Gelatino sahen sie an, als wäre sie der Grund für den Gestank, und im gleichen Moment dämmerte es Lilli. »Die Stinkbomben?« Schnell kurbelte sie das Beifahrerfenster herunter.
»Eine einzige ging auf der Herfahrt los, aber das hat vollauf genügt!« Ole hielt sich die Nase zu. »Mitch hat die Schachtel in seinem Rucksack entdeckt, aber dann ist ihm eine auf die Fußmatte vor der Rückbank gefallen!«
»Wir ham des Ding natürlich sofort entsorgt!« Gelatino schaltete einen Gang höher. »D’Rechnung für a neue Fußmattn geht an:
Wuide Küken
, Weiherwiese!«
Nach der kurvenreichen Fahrt hinunter nach Hochdorf hielten sie vor einem Supermarkt und erledigten ihren Großeinkauf. Sie fanden alles, was in unleserlicher Handschrift auf Gelatinos Zettel stand, nur eines hatten sie nicht: Biomüsliriegel mit weißer Schokolade. Weder einzeln noch als Großpackung. Während Ole und Gelatino mit den beiden randvoll gefüllten Einkaufswagen schon an der Kasse anstanden, suchte Lilli noch schnell nach einem Duftverbesserer fürs Auto.
»Wär’s nicht klüger gewesen«, fragte Lilli auf der Weiterfahrt zur Bergklinik, »wenn wir erst deinen Onkel besucht hätten und dann eingekauft? So liegen doch die ganzen Lebensmittel im heißen Auto!«
»Passt scho so!« Gelatino stellte den Motor ab. »Wir bleib’n sowieso ned lang!«
Lilli und Ole begleiteten Gelatino über den Parkplatz in die Klinik.
Vor der Tür des Krankenzimmers schloss Gelatino kurz die Augen und holte Atem, als wäre er ein Turmspringer vorm Absprung. Dann klopfte er und drückte die Tür auf.
»Schorschi!« Alois Hadersdorfer erhob sich in seinem Krankenbett und begrüßte Gelatino mit Handschlag. »Heute schneiden’s mi auf!«
Gelatino nuschelte irgendetwas von wird schon gut gehen, hielt die Hand seines Onkels fest und stellte ihm Ole und Lilli vor.
»Wuist mi gar nimmer loslassen, oder was?«, knurrte Alois.
Sofort ließ Gelatino die faltige Hand mit den hornigen Fingernägeln los.
Genau wie Gelatino, bemühte sich auch sein Onkel nicht darum, hochdeutsch zu sprechen. Seine Stimme war heiser und brüchig, und Lilli verstand nicht alles, was er zu Gelatino sagte, den er Schorschi nannte.
»Wia steht’s um d’Alm?«, fragte Alois seinen Neffen und ergänzte mit Blick zu Lilli und Ole. »I hob zwengs meim Herzen in den letzten Wochen fast nix mehr arbeiten kenna.«
»Alles bestens, Onkel Alois!« Gelatino warf sich in die Brust und klatschte in die Hände. »Lauft alles wia am Schnürchen. Mach dir koane Sorgen. Ich kümmer mich um dei Alm und du kümmerst di drum, dass’d bald wieder auf’d Füaß kommst! Echt! I hob alles im Griff!«
Alois kniff die trüben Augen zusammen und musterte seinen Neffen. »Sei ehrlich, Schorschi. I weiß doch, dass …« Er suchte nach den richtigen Worten, aber Lilli wusste auch so, was er meinte. Dass Gelatino kein Händchen für die Tiere hätte, ein Großsprecher wäre und die schwere Arbeit auf der Alm nie und nimmer bewältigen könnte.
Aber als wäre das alles nicht wahr, klopfte Lilli Gelatino auf die Schulter. »Er hat sogar das Stadeldach repariert!«
»Genau!«, mischte
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