Die Wilden Küken - Auf der Alm (German Edition)
mit dem Verbandskasten unterm Arm im Haus. Very warf den Kopf in den Nacken und moserte zu Lilli herauf: »Und wieso ausgerechnet ich?«
»Weil ich das Oberküken bin!«, sagte Lilli scherzhaft und grinste.
Trotzig stemmte Very die Hände in die Hüften. »Aber ich bin eine totale Null in der Küche!«
»Das sollten wir aber dringend ändern!« Bob kam wieder aus dem Haus, hakte Very grinsend unter und wandte sich dann an Gelatino. »Gibt’s hier irgendwo Mehl und Eier?«
Gelatino knurrte irgendetwas, das sich anhörte wie: »Wir müssen dringend unsere Vorräte auffrischen und i muass an Onkel Alois im Krankenhaus b’suacha!« Er drückte seinen schmerzenden Daumen an die Brust und seufzte verzweifelt.
Ole hackte zwischen Stall und Stadel Holz für den Küchenofen klein. Hoch über ihm auf dem Dach ersetzte Lilli die zerbrochenen oder fehlenden Schindeln. Erik und Enya trieben die Kühe aus dem Stall hinaus auf die zertrampelte Koppel. »Auf geht’s, die Damen!« Erik klatschte den Kühen auf die Flanken und nannte jede beim Namen. »Hüa, Kunigunde! Hopphopp, Zenzi! Brave Resi. Nur nicht einschlafen, Ambrosia! Immer langsam voran, Walli!«
Mit Enyas Hilfe schloss er das windschiefe Gatter. Der notdürftig abgezäunte Bereich war viel zu klein für die fünf Kühe und schon fast gänzlich abgeweidet. Aber der um das gesamte Almgebiet herumlaufende Zaun war an zu vielen Stellen reparaturbedürftig. Nach den Kühen trieben Little und Mitch auch noch die namenlosen Ziegen aus dem Stall und scheuchten sie zu Kunigunde, Zenzi, Resi, Ambrosia und Walli auf die schlammbraune Viehweide.
Lilli wusch sich mit Ole am Brunnen. Das Wasser war so kalt, dass es fast wehtat.
»Er kriegt das hier nicht auf die Reihe!«, murmelte Ole.
Lilli folgte seinem Blick. Gelatino schlich sich mit einem kleinen Strauß Wiesenblumen zu Giulias Kammerfenster und legte sie ein wenig tollpatschig aufs Fensterbrett.
»In der Eisdiele ist er so geschickt«, sagte Lilli, »aber die Arbeit hier ist nichts für ihn – als hätte er plötzlich zwei linke Hände!« Lilli trocknete sich ihr Gesicht mit dem Handtuch ab, das neben dem Brunnen an einem Pfosten hing. »Bäh, das müffelt!«
»Wir hatten noch keinen Waschtag!« Ole schleuderte Wassertropfen von seinen Händen. »Ehrlich gesagt, wir wollten gerade aufgeben und wieder heimfahren, als Giulia gesimst hat, dass ihr kommt!«
»Glaub bloß nicht, dass wir hier die Arbeit für euch machen!« Lilli warf ihm das Müffeltuch über den Kopf. »Blöd-Olm!«
»Aber miteinander kriegen wir es vielleicht hin!« Jetzt warf Ole ihr das Handtuch ins Gesicht. »Doof-Küken!«
Lilli und Ole sahen sich ernst und schweigend an, bis gleichzeitig ihre Mägen knurrten.
Endlich gab es Frühstück. Nach der Arbeit auf dem Stadeldach hing Lilli der Magen bereits in den Knien. Im Küchenofen knisterte ein Feuer und auf der Kochöffnung stand ein dampfender Kessel. Es roch nach Kaffee und angebrannter Milch.
Lilli bröckelte altbackenes Brot in ihre Tasse und blickte in die rotwangigen Gesichter ihrer Freundinnen und Freunde, die alle zusammen mit ihr um den Tisch saßen.
»Is des ned herrlich?« Gelatino wollte Giulia Kaffee nachgießen. »Des Leben in de Berg’?«
Giulia hielt abwehrend die flache Hand über ihre Tasse. »Gibt es im Staigerhof eigentlich Internet oder muss man dafür bis hinunter nach Hochdorf?«
Gelatino tat, als hätte er die Frage nicht gehört, und holte ein Glas Marmelade aus dem Küchenschrank. »Heidelbeer, nach’m Onkel Alois seim Geheimrezept.« Er schraubte den Deckel ab. »De muasst probiern, Giulia!«
Giulia probierte widerwillig und starrte dabei auf die Anrichte, auf der nicht nur ihr Notebook und ihr Föhn lagen, sondern auch Verys Lockenstab, etliche Handys und Smartphones sowie eine tragbare Videospielkonsole mit leerem Akku, Kopfhörer und MP 3 -Player, jede Menge Ladekabel und Enyas elektrische Zahnbürste. Alles Dinge, die ohne Steckdose nicht lange funktionierten.
Gleich nach dem Frühstück legte Giulia, die nur noch einen Bikini anhatte, ein paar der Flickenteppiche auf die verwitterten Bretter vor dem Haus. Die Holzveranda war wie ein Steg gebaut. Sie endete auf der einen Seite ebenerdig. Aber an der talwärts gelegenen Seite des Hauses war sie auf große, in das abschüssige Gelände getriebene Holzpfeiler gestützt, sodass sie wie ein Balkon über dem Abgrund hinausragte. Darunter befand sich im Fundament des Hauses eine bogenförmige Kellertür.
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