Die Wildkirsche. Erotischer Roman
zerrte an seinen Fesseln, als hätte er den Verstand verloren. Wenn er so weitermachte, würde er sich die Haut einreißen oder das Blut abschnüren. Eine winselnde Leila schlüpfte eilig durch die offen stehende Tür und flüchtete sich in den Flur. Lorraine hatte die Hündin versehentlich eingesperrt. Es war verwunderlich, dass sie nicht früher auf sich aufmerksam gemacht hatte. Lorraine nahm sie auf den Arm und tätschelte ihren wuscheligen Kopf. Dann schloss sie seufzend die Tür und eilte mit Leila in ihres Vaters Büro, das sich im Erdgeschoss befand, um nach Schlaftropfen zu suchen. Sie hatte nicht die Nerven, sich um Julien zu kümmern. Dennoch musste sie ihn irgendwie ruhigstellen, damit er ihren Vater nachts nicht weckte und dieser womöglich bemerkte, dass seine Tochter einen heimlichen Ausflug unternahm. Beaumont hatte einen kleinen Medikamentenvorrat angelegt, um die Patienten, die zu ihm kamen, vor Ort versorgen zu können. In einem Regal entdeckte sie eine kleine Flasche mit der Aufschrift Meconium, das in seiner Wirkung schwächer als Opium war und gern als Schlafmittel verwendet wurde. Sie setzte Leila auf den Boden, holte einen mit Wasser gefüllten Becher aus der Küche und mischte Meconium in das Gefäß. Nachdem sie die Flüssigkeit mit dem Zeigefinger umgerührt hatte, brachte sie den Becher zu Julien, um es ihm einzuflößen. Glücklicherweise schluckte er das Gemisch ohne Gegenwehr hinunter und lächelte sie sogar dankbar an. Zufrieden setzte sich Lorraine auf den Hocker vor ihm und wartete, bis ihm die Lider schwerer wurden und er schließlich ins Land der Träume entschwand. In diesem Moment hörte sie das Zuschlagen der Haustür und schwere, müde Schritte im Flur. Ihr Vater war zurückgekehrt.
»Du bist noch nicht nachtfertig?«, sagte er überrascht, als Lorraine ihm entgegenkam.
»Ich habe mich die ganze Zeit um Julien gekümmert. Nun ist er endlich eingeschlafen.«
Beaumont lächelte zufrieden. »Dann hast du dich also mit ihm arrangieren können.«
Lorraine nickte und blickte dabei zu Boden. Eigentlich war es nicht ihre Art, ihren Vater anzulügen. Aber in diesem Fall musste sie eine Ausnahme machen. Es war immer noch besser, als dass er von ihrer Affäre mit Etienne erfuhr.
»Wie geht es Madame Alan?«, fragte sie, um das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken.
»Sei mir nicht böse, Liebling. Ich bin so müde, dass mir die Augen zufallen. Ich werde dir morgen alles erzählen. Nur so viel sei gesagt, sie ist außer Gefahr.«
»Das ist gut. Willst du zu Bett gehen, Papa?«
Beaumont nickte. »Es ist besser, wenn ich morgen ausgeschlafen an meine Arbeit gehe.«
Lorraine umarmte ihn und gab ihm einen leichten Kuss auf die Wange.
»Gute Nacht, Papa.“ Sie drehte sich noch einmal auf der Treppe um und winkte ihm zu, bevor sie in ihrem Zimmer verschwand, wo sie nicht lange warten musste, bis ein kleiner Stein gegen die Scheibe schlug. Es war das Zeichen, auf das sie gewartet hatte! Sie öffnete das Fenster und versuchte die dunkle Gestalt im Vorgarten zu erkennen.
»Etienne, bist du es?«, flüsterte sie aufgeregt.
»Aber ja. Wen hast du denn erwartet?«
»Natürlich dich, du Scherzbold! Hör zu, Papa ist erst vor wenigen Minuten heimgekehrt. Ich warte noch, bis er eingeschlafen ist, dann komme ich zu dir.«
»Auf dich würde ich eine Ewigkeit warten!«
Seine Worte ließen sie erröten. Bei Etienne wusste sie nie recht, ob er etwas ernst meinte oder Scherze mit ihr trieb. Sie schloss das Fenster, zog ihre Schuhe und den Mantel an und legte alte Kleider unter die Bettdecke, damit ihr Vater, sollte er nach ihr sehen, glaubte, sie würde in ihrem Bett liegen und schlafen. Dann wartete sie einige Herzschläge, schlich aus ihrem Zimmer ins Erdgeschoss hinab und legte das Ohr an die Tür zu ihres Vaters Schlafgemach. Sie meinte ein Schnarchen auf der anderen Seite zu vernehmen und atmete auf. Mit etwas Glück schlief er die ganze Nacht durch und würde ihr Verschwinden nicht bemerken. Erleichtert trat sie in den Garten hinaus und begann, obgleich der Sommer vor der Tür stand, zu frösteln. Kühler Wind strich über ihre Wangen. Er wirbelte ihr Haar auf und strich es verwegen in ihr Gesicht. Sie war froh darüber, ihren Mantel mitgenommen zu haben. Eng zog sie den Stoff an ihren bebenden Körper.
»Etienne?«, rief sie so leise wie möglich, ging einige Schritte und drehte sich in alle Richtungen, doch sie konnte ihn nirgends entdecken. Wo mochte er bloß sein? Sie lief bis
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