Die Wildkirsche. Erotischer Roman
kann er zumindest vorerst auch nicht. Wagen wir ein Experiment und speisen heute Abend gemeinsam mit ihm.«
»Glaubst du, das geht gut?«
»Irgendwann müssen wir den ersten Schritt tun. Er soll sehen, wie ein gewöhnlicher Tag bei uns aussieht.«
»In Ordnung. Aber was geschieht in der Zeit davor und danach?«
Nachdenklich schloss Beaumont die Augen. Tiefe Furchen bildeten sich auf seiner Stirn, wie immer, wenn er sich konzentrierte. »Ich überlasse ihm das Zimmer. Soll er darin alles auf den Kopf stellen, wenn es denn sein muss. Das ist mir lieber, als ihn wie einen Verbrecher anzuketten. Früher oder später wird er seine Zerstörungswut schon unter Kontrolle bekommen.«
»Dein Wort in Gottes Ohr, Papa.«
***
Am selben Abend gab es Kalbfleisch und Gemüse. Lorraine hatte drei Teller auf den Tisch gestellt und rutschte ungeduldig auf ihrem Stuhl hin und her. Ihr Vater war nun schon seit einer halben Stunde in Juliens Zimmer, um ihn unter dem Bett hervorzulocken und in die Küche zu bringen. Die junge Frau atmete erleichtert auf, als endlich die Tür aufging und Beaumont hereinkam. Julien zog er an seiner Hand hinter sich her. Misstrauisch blickte sich der Wilde, der in eines von Beaumonts alten Nachthemden gekleidet war, in der kleinen Küche um.
»Ich freue mich, dass du uns heute Abend Gesellschaft leistet«, sprach Lorraine mit ruhiger Stimme.
»Den aufrechten Gang werden wir üben, mein lieber Julien«, sagte Beaumont und brachte ihn zu dem Stuhl, der für ihn vorgesehen war.
»Warum hat es denn so lange gedauert, Vater? Ich habe mir Sorgen gemacht.«
»Um mich oder um Julien?«, fragte Beaumont amüsiert.
»Um euch beide.«
»Dieses Mal verlor ich nicht so schnell die Geduld. Mit einer Wurstscheibe lockte ich ihn aus seinem Versteck, danach sah ich mir seine Wunden an und legte ihm einen kühlen Verband um.«
Beaumont klopfte mit der freien Hand auf die Sitzfläche des Stuhls. »Nimm Platz, Julien.«
Folgsam sprang er auf den Stuhl und winkelte die Beine an.
»Das hast du sehr gut gemacht«, lobte ihn Beaumont.
Da sah Julien den großen Teller vor sich, auf dem mehrere gebratene Fleischscheiben lagen. Gierig griff er nach der obersten, grub seine Zähne hinein und riss ein Stück heraus, das er schmatzend hinunterschlang.
»Halt! So war das nicht gedacht.« Beaumont versuchte ihm das Kalbfleisch aus der Hand zu nehmen, doch Julien knurrte ihn an, um seine Beute zu verteidigen.
»Jetzt gib es schon her«, sprach Papa ein Machtwort, nahm es ihm energisch ab und warf es Leila zu, die es begeistert aus der Küche trug. »Wir essen hier mit Messer und Gabel.« Demonstrativ nahm er sein eigenes Besteck in die Hand und führte es vor. Julien beobachtete ihn genau und versuchte ihn zu imitieren.
»Nicht doch, du musst das Messer in die rechte und die Gabel in die linke Hand nehmen! Jetzt hältst du das Messer falsch herum. Pass auf, dass du dich nicht schneidest. So ist es richtig. Nun sieh genau hin, wie ich das Fleisch durchtrenne.«
Säuberlich schnitt Beaumont eine Ecke vom Bruststück ab, welches Lorraine ihm aufgetan hatte.
Julien stach mit der Gabel in das Fleisch und spießte sein komplettes Stück auf.
»Nein, nein! So wird das nichts. Pass auf, ich zeige dir, wie es geht«, sagte Lorraine. Sie beugte sich über ihn, griff seine Handgelenke vorsichtig mit beiden Händen, bemüht, die verbundenen Stellen nicht allzu sehr zu belasten, und löste die Gabel vom Braten, um dann ein kleineres Stück für ihn abzutrennen. Es klappte vorzüglich. »Und nun – bon appétit!« Sie führte es zu seinem Mund.
Julien schnappte sofort gierig danach und zerkaute es genüsslich.
»Du bist wahrlich nicht auf den Kopf gefallen. Ich habe als kleines Kind länger gebraucht, um das zu lernen.« Ihr Busen drückte gegen seine Seite, rieb sich unbewusst an dem dünnen Stoff, der seine Haut bedeckte.
»Ausgezeichnet, Julien! Aber auch dich muss ich loben, Lorraine. Du bist eine hervorragende Köchin und wirst deinem Mann eines Tages viel Freude bereiten«, sagte Beaumont und wischte sich mit einer Serviette über den Mund.
Lorraine setzte sich mit einem Seufzen auf ihren Stuhl zurück und kostete das Mischgemüse. Ans Heiraten wollte sie nicht denken, denn das erinnerte sie an Etienne, und diesen Schuft wollte sie ganz aus ihren Gedanken verbannen.
»Erstaunlich, wie geschickt Julien ist. Man möchte fast meinen, es ist nicht das erste Mal, dass er mit Messer und Gabel isst«, schreckte sie die Stimme
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