Die Wildkirsche. Erotischer Roman
habe Julien nicht in sein Zimmer gesperrt!« Eilig schob sie den Stuhl zurück und lief in den Flur. Die Haustür stand weit offen.
»Lorraine, was ist denn auf einmal in dich gefahren?« »Er ist fort!«
»Wer ?«
»Ich hoffe, ihm geschieht nichts!«
»Ich kann es nicht glauben«, würgte Etienne hervor. »Du machst dir Sorgen um diesen Bastard?«
»Etienne!«
»Ein Blinder würde erkennen, welch Mörderinstinkt diesem Irren inne ist.«
»Und wenn er dich gar nicht töten wollte? Wenn er nur glaubte, mich beschützen zu müssen?«
»Du verteidigst ihn schon wieder. Ist dir meine Wunde nicht Beweis genug?« Wütend deutete er auf den blutigen Fleck an seiner Kehle.
»Das spielt keine Rolle im Moment. Wir müssen ihn finden, bevor es jemand anderes tut! Etienne, bitte hilf mir!«
»Ich? Du machst dich lustig über mich?«
»Es ist mein Ernst. Zu zweit können wir es schaffen.«
Etienne musterte sie kühl und schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Lorraine. Dafür musst du dir einen anderen Dummen suchen.«
»Aber Etienne!«
Er wandte ihr den Rücken zu und verließ das Haus, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
***
Wenige Augenblicke später irrte Lorraine durch die Stadt. Die Gagnoniens zeigten sich hilfsbereit, jedoch hatte keiner von ihnen Julien gesehen. Wahrscheinlich hätte sein Auftauchen für großes Aufsehen gesorgt. Da dies jedoch nicht geschehen war, konnte sie nur mutmaßen, dass er nicht in die Stadt geflohen war, sondern sich in den nahegelegenen Wald zurückgezogen hatte. Nach zwei Stunden erfolgloser Suche entschied sie schließlich, heimzukehren. Beaumont hielt sich im kleinen Salon auf, als Lorraine das Haus betrat. Er saß in einem gepolsterten Sessel und hatte ein Journal über den Beinen ausgebreitet, in dem er konzentriert las.
»Störe ich?«, fragte Lorraine zaghaft.
Beaumont hob den Kopf und lächelte ihr zu. »Natürlich nicht. Ist etwas geschehen? Du siehst blass um die Nase aus.«
Sie seufzte. Offenbar hatte ihr Vater noch gar nicht bemerkt, dass Julien verschwunden war. »Wie soll ich dir das nur erklären?«
Beaumont legte die Zeitung beiseite und musterte sie von oben bis unten. Lorraine wusste, dass es nichts brachte, ihm etwas vorzumachen. Er kannte sie zu gut und würde jede Lüge oder Ausflucht ohne Zögern als solche erkennen. Also rückte sie ohne weitere Umschweife mit der Sprache heraus. Sie erzählte von Etienne, der wie von Sinnen auf Julien eingeschlagen hatte, und wie dieser seinerseits versuchte, seinem Kontrahenten die Kehle durchzubeißen. Damit ihr Vater keinen Verdacht schöpfte, betonte sie, sie hätte nicht gewusst, dass Julien sie beim Baden beobachtete. Wahrscheinlich habe er nur nach ihr gesucht und Etienne sein Verhalten falsch gedeutet. Als sie ihre Ausführungen beendet hatte, erwartete sie ein Donnerwetter, aber es blieb zu ihrem Erstaunen aus. Beaumont nickte nur nachdenklich, erhob sich schließlich und erklärte, dass er sich im Forst nach Julien umsehen wolle.
»Ich komme mit dir«, sagte Lorraine.
Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Bleibe hier. Vielleicht kehrt er in der Zwischenzeit zurück. Außerdem ziehen dunkle Wolken auf. Es wird bald ein Unwetter geben.« Er deutete aus dem Fenster zum Himmel, der sich schwarz verfärbte. Die ersten Regentropfen klopften gegen die Scheibe. »In Ordnung, Papa. Versprich mir nur, dass du acht auf dich gibst.«
Beaumont lächelte seine Tochter liebevoll an, dann wandte er sich ab und ging zur Tür. Dort angekommen drehte er sich noch einmal zu ihr um. »Ehe ich es vergesse. Etienne war vorhin hier. Er hat ein Geschenk für dich abgegeben. Du findest es auf deinem Nachtschrank.«
»Ich sehe gleich nach«, sagte sie und verschwand in ihrem Zimmer, wo sie einen kleinen, zusammengeschnürten Karton und einen Brief entdeckte. Zumindest besaß dieser Schuft genügend Anstand, sich zu entschuldigen, überlegte sie und öffnete die Schachtel. Ein leiser Schrei entwich ihrer Kehle, als sie darin einen Penis entdeckte! Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Nach genauer Prüfung und vorsichtigem Abtasten stellte sie jedoch erleichtert fest, dass es sich nicht um ein echtes Exemplar handelte, das einem bedauernswerten Mann abgetrennt worden war, sondern um ein Imitat aus Leder.
»Welch romantisches Geschenk«, dachte sie voller Ironie und las den Brief.
Liebste Lorraine,
ich hoffe, meine kleine Aufmerksamkeit gefällt dir. Ich habe sie nur für dich anfertigen lassen. Nimm dies Geschenk als Zeichen meiner Reue und
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