Die Wildkirsche. Erotischer Roman
kamen die Begleiter des Kommissars auf ihn zu, griffen ihn an den Armen und zerrten ihn zum Schreibtisch.
»Was soll das?«, empörte sich Etienne und blickte seinen Vater Hilfe suchend an. Dieser wandte sich jedoch von ihm ab. »Ich habe nichts verbrochen!«
»Es liegt aber eine Anzeige gegen Sie vor, Monsieur Poméroy.«
Etienne erbleichte. Wer, um alles in der Welt, sollte ihn eines Verbrechens bezichtigen? Er hatte sich nichts zu schulden kommen lassen!
Der Kommissar spielte mit dem Dreispitz, der auf seinem Schoß lag, und nickte bedächtig. »Sie stammt vom Pariser Stadtrat Monsieur Louvert. Es heißt, Sie haben seine Tochter vergewaltigt.«
»Jacqueline?«, entfuhr es ihm fassungslos. »Hat sie das behauptet?« Seine Hände begannen zu zittern.
»Legt ihm das Eisen an«, befahl der Kommissar.
»Nein! Warten Sie! Das ist eine gemeine Intrige! Ich bin unschuldig!«
Einer der Männer löste das klirrende Handeisen von seinem Gürtel, während der andere Etiennes Arme auf den Rücken drehte.
»Vater! Tu doch etwas, hilf mir.«
»Es gibt für uns keinen Grund, an Louverts Worten zu zweifeln. Ich rate Ihnen dringlichst, sich mit Ihren Äußerungen zurückzuhalten. Das arme Mädchen ist durch Sie bereits für sein Leben gezeichnet.«
»Sie lügt, diese verdammte Hure!« Etienne versuchte sich zu widersetzen, doch der Mann hinter ihm drückte seinen Oberkörper unbeeindruckt auf die Tischplatte, während der zweite ihm das Eisen um die Handgelenke legte.
Etiennes Herz raste vor Zorn und Angst so schnell, dass er glaubte, jeden Augenblick ohnmächtig zu werden. »Merken Sie denn nicht, was hier vor sich geht? Sie will sich an mir rächen!«, knurrte er. »Glauben Sie mir bitte!«
Irgendwie hatte Jacqueline ihrem Vater ihren dicker werdenden Bauch erklären müssen, der unaufhaltsam wuchs. Was lag also näher, ihn als Frauenschänder zu bezichtigen und somit ihren Hals aus der Schlinge zu ziehen? Für die anderen schien alles nur zu offensichtlich. Er war ein Mann, der seine Triebe nicht unter Kontrolle hatte und über ein reizendes, junges Mädchen hergefallen war, um seine perverse Lust an ihr zu befriedigen. Sie war ein hilfloses, unschuldiges Lämmchen.
»Wir nehmen Ihre Aussage zu Protokoll. Jetzt werden Sie uns erst einmal nach Paris begleiten.« Etienne wurde an seinen Ketten hochgerissen und zur Tür gestoßen.
Der Kommissar erhob sich, strich seinen Mantel glatt, setzte den Dreispitz auf und nickte seinen Männern zu. »Gehen wir.«
»Vater! Du musst mir glauben, Vater!«
Aber der alte Poméroy zeigte seinem Sohn die kalte Schulter. Etienne wurde hinausgeschafft. Seine Verhaftung erregte viel Aufmerksamkeit. Die Leute sammelten sich um die fensterlose Kutsche und schüttelten voller Entsetzen den Kopf. Niemand hätte gedacht, dass sich der junge Poméroy jemals etwas zu schulden kommen lassen würde, war er doch für die meisten ein leuchtendes Vorbild gewesen. Ganz wie der Herr Vater es war, hilfsbereit und anständig. Nun drang die Erkenntnis zu den Menschen vor, dass sie sich in Etienne getäuscht hatten. Etienne selbst wusste, dass es viel Gerede geben würde, das nicht nur ihn, sondern auch seine Familie in Verruf brachte. Gerüchte verbreiteten sich schnell in Gagnion.
Nun blickte er einem ungewissen Schicksal entgegen. Wahrscheinlich würde man ihn inhaftieren oder schlimmer noch, er würde am Galgen baumeln, für eine Tat, die er nicht begangen hatte!
9. KAPITEL
Frankreich, 1754
Ein Jahr war vergangen, seit Beaumont Julien in sein Haus aufgenommen hatte. Der Doktor hatte mit Fleiß und Geduld geschafft, was bisher keinem seiner Kollegen gelungen war. Er hatte einen Wolfsmenschen zivilisiert, der fernab der Gesellschaft aufgewachsen war. Monat für Monat hatte er Julien unterrichtet. Zuerst in den einfachen Dingen, die man auch einem Kind beibrachte. Die Sprache, das Benehmen, der aufrechte Gang. Dann die anspruchsvolleren Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen.
Durch einen Zufall waren sie auf eine Spur gestoßen, die in seine Vergangenheit zu führen schien, als sie einen Spaziergang durch den Wald von Gagnion unternahmen und Julien plötzlich mehrere Orte wiedererkannte. Dies erklärte in Beaumonts Augen auch, wieso er damals auf dem Jahrmarkt von Gagnion einen Fluchtversuch unternommen hatte. Die Umgebung, durch die sie seinerzeit gereist waren, um in die kleine Pariser Vorstadt zu gelangen, war ihm vertraut erschienen.
Dies waren jedoch nicht die einzigen Fortschritte,
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