Die Wildkirsche. Erotischer Roman
doch er konnte die Person nicht erkennen. Geblendet kniff er die Augen zusammen, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatten. Mit einiger Überraschung stellte er fest, dass es Lorraine war, die ihn mit einem liebevollen Lächeln anschaute.
»Ich gehöre ganz dir«, sagte sie leise und schmiegte ihren Kopf an seine Brust. Julien schloss sie in die Arme, küsste ihren Hals, ihre Wangen, ihre Lippen.
Da schritt Beaumont mit erhobenem Zeigefinger durch die Tür. »Von Lust und Liebe allein kann der Mensch nicht leben. Lorraine braucht einen Mann, der ihr Sicherheit gibt, der sie ernähren kann.«
Lorraine hörte die Worte ihres Vaters und löste sich von Julien. Rückwärtsgehend wich sie zurück und sah ihn vorwurfsvoll an. Julien streckte die Hand nach ihr aus, doch sie wandte sich ab und stellte sich hinter ihren Vater.
»Du brauchst Geld, wenn du sie halten willst«, erklang Chiks Stimme in seinem Kopf.
»Wo soll ich es auftreiben? Ich habe keine Arbeit! Keine Ausbildung!«
Enttäuschung spiegelte sich in Beaumonts und Lorraines Gesichtern. Dann schritten sie durch die Tür, ohne sich noch einmal umzusehen.
»Geh nicht!«, rief er ihr nach.
Chiks höhnisches Lachen dröhnte schmerzhaft in seinem Schädel und zwang Julien in die Knie. »Du Narr, hast du es immer noch nicht begriffen? Frauen lieben reiche Männer! Männer von hohem Stand, Männer mit Macht und Einfluss. Du bist nur ein kleines Licht, das im Wind zu einem Nichts verglüht.«
Die Tür schwang zu. Plötzlich war es wieder erdrückend finster in dem kleinen Raum. Julien richtete sich auf und tastete sich an der Wand entlang, um den Ausgang zu finden, aber die Tür schien verschwunden. Panik stieg in ihm hoch. Er war gefangen! Chiks Stimme quälte ihn mit Vorwürfen und Belehrungen. Die Luft wurde bald stickig. Seine Kehle zog sich zusammen, er konnte nicht mehr atmen. Angstvoll griff er sich an den Hals, sank erneut auf die Knie und stieß einen markerschütternden Schrei aus.
Julien schreckte mit rasendem Atem aus seinem Traum. Seine Haare klebten schweißnass an seiner Kopfhaut, seine Beine zitterten. Am ganzen Körper bebend, beugte er sich über die Bettkante und übergab sich in den Nachttopf, den er rasch unter seinem Bett hervorzog.
»Großer Gott!«, keuchte er erschöpft und erleichtert zugleich. Ein Blick zum Fenster verriet, dass der Morgen graute. Die Vögel zwitscherten lautstark, rote Wolken zogen über den Himmel. Julien plagte noch immer eine leichte Übelkeit.
Mit einem Seufzen ließ er sich auf das Kissen zurückfallen. Die Botschaft des Traumes war unmissverständlich. Er konnte nur dann mit Lorraine zusammen sein, wenn er genügend Geld verdiente, um ihr ein standesgerechtes Leben zu ermöglichen.
***
»Bitte setzen Sie sich, Monsieur Ducat«, sagte Beaumont und bot dem Verlegersohn einen Platz auf der gepolsterten Couch im kleinen Salon an. Er war aus Paris angereist, um Bekannte in Gagnion zu besuchen und bei der Gelegenheit mit dem Doktor über sein Buchprojekt zu sprechen. »Dies ist Julien, der Wolfsmensch. Ich dachte, Sie würden ihn gern persönlich kennenlernen. Immerhin ist er die Person, die meine Studien am meisten beeinflusste.«
»Eine reizende Idee«, sagte Louis Ducat und reichte Julien höflich die Hand. »Sie sehen weitaus menschlicher aus, als ich Sie mir vorgestellt hatte. Wenn die Verhandlungen gut laufen, wird bald jeder in der zivilisierten Welt Ihre Geschichte kennen, Monsieur Julien.«
Julien nickte zaghaft, denn er wusste nicht recht, was er auf diese Bemerkung antworten sollte. Schon seine Bekanntheit in Gagnion und Paris bereitete ihm Unbehagen, wie würde sein Leben erst aussehen, wenn man im ganzen Land von ihm erführe?
Die Tür ging auf und Lorraine kam mit einem Tablett herein. »Verzeihen Sie die Störung«, sagte sie und stellte eine Kanne und drei Tassen und Untersetzer aus feinstem Porzellan auf den Tisch. Für ihren besonderen Gast hatte sie das teure Geschirr aus dem Schrank geholt.
»Darf ich vorstellen, dies ist meine Tochter Lorraine.«
»Lorraine!«, rief Ducat entzückt aus, erhob sich rasch und nahm ihre Hand, um einen Kuss auf ihren Handrücken zu hauchen. »Ich bin entzückt, Ihre liebreizende Bekanntschaft zu machen. Ich wusste nicht, dass der werte Doktor eine solch entzückende Tochter hat.«
»Oh, vielen Dank, Sie schmeicheln mir, Monsieur Ducat.«
»Für Sie bin ich Louis.« Ein anzügliches Grinsen bildete sich auf seinen wulstigen Lippen.
Lorraine errötete
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