Die Wildkirsche. Erotischer Roman
Faust vor Chiks Gesicht. »Und jetzt lauf, so schnell du kannst, oder ich werde dich prügeln, bis dir Hören und Sehen vergeht.«
Chik brachte Abstand zwischen sich und Julien. Nervös befühlte er seinen Hals. »Schon gut. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Falls du es dir dennoch anders überlegst, findest du mich im Coq Doré.«
»Verschwinde!«, brüllte Julien und trieb den jungen Mann in die Flucht.
»Was ist denn geschehen?«, fragte Lorraine und trat mit sorgenvoller Miene an seine Seite. »Und wer war dieser Mann, mit dem du geredet hast?«
»Jemand aus meiner Vergangenheit.«
»Was wollte er?«
»Nichts, was von Bedeutung wäre.«
Sie runzelte die Stirn, stellte aber keine weiteren Fragen, als spürte sie, dass er ohnehin nicht darauf eingehen würde. »Ich habe zwei Forellen gekauft. Die schienen mir am frischesten.« Stolz hielt sie die beiden in Papier gerollten Fische in die Höhe. »Ich habe den Verkäufer auf die Hälfte heruntergehandelt. Bringen wir sie nach Hause, ich will sie gleich zubereiten.«
Er hörte zwar ihre Worte und folgte ihr zum Haus des Doktors, doch mit den Gedanken war er woanders. Er hatte sich vor einem Wiedersehen mit seinen einstigen Peinigern gefürchtet. Nun, nachdem er Chik die Stirn geboten hatte, fühlte er sich zwar befreit, doch gleichzeitig waren unangenehme Erinnerungen in ihm hochgekommen, die er am liebsten für immer verdrängt hätte.
***
Julien half Lorraine das Abendessen herzurichten. Geschickt nahm er die beiden Fische mit einem Fischmesser aus, entfernte die Gräten und reichte Lorraine das zarte Fleisch, das sie in einer Pfanne briet.
»Das Abendessen riecht vielversprechend«, sagte Beaumont, als er die Küche mit einem Bücherstapel in der Hand betrat und sich an den gedeckten Tisch setzte. Dann hielt er eines seiner Notizbücher in die Höhe. »Ich habe deine Geschichte schriftlich festgehalten, jeden Fortschritt notiert und deine Entwicklung bis zum heutigen Tage dokumentiert.«
»Warum hast du das getan? Wer interessiert sich dafür?«
»Ich hoffe, einen Verleger für meine Arbeit zu finden. Um genau zu sein, besteht bereits ein Briefwechsel zwischen Monsieur Ducat und mir. Er leitet das größte Verlagshaus von Paris und ist an wissenschaftlichen Arbeiten sehr interessiert. Morgen kommt sein Sohn und Geschäftspartner Louis nach Gagnion, um das Manuskript zu besprechen.«
Julien setzte sich zu Beaumont, und Lorraine tat ihnen Fisch und Kartoffeln auf. Aber Juliens Appetit hielt sich in Grenzen. Lustlos stocherte er in den weichen Erdäpfeln herum, probierte den Fisch, doch legte schon nach den ersten Bissen das Besteck zur Seite.
»Ich werde dich beteiligen, wenn Ducat das Manuskript veröffentlicht«, versprach Beaumont, steckte sich ein Stück Fisch in den Mund und schürzte die Lippen voller Genuss.
»Das ist sehr freundlich von dir, Gabriel. Aber bitte vergib mir, wenn ich das Gespräch frühzeitig abbreche. Ich fühle mich nicht wohl und möchte mich auf mein Zimmer zurückziehen.«
»Natürlich, Julien. Ruhe dich ein wenig aus.«
»Soll ich nachher einen warmen Tee hinaufbringen?«, fragte Lorraine hoffnungsvoll.
Doch Julien schüttelte den Kopf. »Ich werde gleich zu Bett gehen.«
Mit diesen Worten erhob er sich und schleppte sich in den ersten Stock zu seinem Zimmer, wo er sich auf die Matratze legte und die Decke bis zum Kinn zog. Bauchkrämpfe quälten ihn. Hinzu kamen Kopfschmerzen, die sich anfühlten, als würde ihm jemand ohne Unterlass eine Flasche über den Schädel ziehen. Die Begegnung mit Chik hatte ihn mehr aufgewühlt, als er gedacht hatte. Noch immer pochte sein Herz bis in die Schläfen. Er wälzte sich zur anderen Seite und schloss die Augen, hoffend, sich in einen traumlosen Schlaf flüchten zu können.
Als er die Augen das nächste Mal aufschlug, fand er sich im Gasthaus Coq Doré wieder. Genauer gesagt, stand er mitten in Chiks Zimmer. Auf dem Tisch entdeckte er neben einer Blumenvase mehrere leere Flaschen und Gläser. Eines war umgekippt. Sein Inhalt tropfte über den Tischrand auf den Boden, wo sich ein roter Fleck bildete. Aus dem Nebenraum vernahm er das Stöhnen einer Frau und das unanständige Flüstern eines Mannes. Als er durch die Verbindungstür in das Zimmer trat, erblickte er ein großes Bett, in dem sich Chik mit drei leicht bekleideten Damen vergnügte. Sie verwöhnten den Vagabunden mit ihren Händen und Lippen. Der Geruch süßen Parfüms lag schwer in der Luft.
Chik, dessen Kopf eben
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