Die Wildkirsche. Erotischer Roman
nur zwei Schlitze für die Augen frei ließ. Sie besaß eine lange Schnauze mit spitzen Zähnen sowie zwei Wolfsohren.
Julien kam sich in dem Kostüm lächerlich vor. Er sah alles andere als gefährlich aus. Insgeheim bereute er, sich auf diese Sache eingelassen zu haben. Die Handschuhe waren unbequem. Sie saßen eng. Außerdem konnte er mit ihnen nicht richtig greifen, weil die angebrachten Holzkrallen viel zu lang waren. Er spielte mit dem Gedanken, den Auftritt abzusagen. Doch dann dachte er an Chik, den er unmöglich im Stich lassen konnte, und an das Geld, das man ihm versprochen hatte. Gewiss wäre Lorraine stolz auf ihn, wenn er eine solch hohe Summe nach Hause brachte, wie Chik sie versprochen hatte. In diesem Moment klopfte es an der Tür und Michel trat ein.
»Sind Sie bereit, Monsieur Julien?«
Er nickte.
»Dann werde ich Sie zur Bühne bringen.«
Julien folgte dem Diener ins Erdgeschoss. Erneut liefen sie durch den schmalen Flur, dieses Mal in die Richtung, in der zuvor Chik und der Maître verschwunden waren. Am Ende des Gangs blieben sie vor der offen stehenden Bühnentür stehen.
»Beeilung, die Pause hat vor wenigen Minuten begonnen. Die Herrschaften nehmen einen kleinen Imbiss zu sich, bevor wir weitermachen! Alle sind sehr gespannt auf den Höhepunkt unseres Programms.« Fromage kam ihm entgegen und zerrte ihn die Stufen hinauf auf die Bühne, die mit aufgemalten Waldkulissen dekoriert war und von Kerzen beleuchtet wurde.
Auf der anderen Seite des zugezogenen Vorhangs hörte Julien das Getuschel der Gäste, dann blickte er sich suchend nach Chik um, der zusammen mit zwei Männern einen unter Tüchern verborgenen Wagen zur Mitte des Podests rollte. Chik trug ein goldenes Kostüm mit glitzerndem Cape, in dem er wie ein junger Prinz aussah. Kleine Holzklötze wurden vor die Räder gelegt, dann zogen die Männer die Stoffbahnen hinunter. Juliens Herz blieb vor Schreck stehen, als er die eisernen Gitterstäbe erblickte. Ein Käfig! Gänsehaut überzog rasant seinen Körper. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt. Nun verstand er, was hier gespielt wurde! Fromage wollte eine Sensation. Und er würde sie auf Juliens Kosten bekommen. Sie hatten den kleinen Käfig, in dem ein ausgewachsener Mann nicht einmal aufrecht stehen konnte, für jedermann deutlich sichtbar auf der Mitte der Bühne platziert.
»Hinein mit dir, Wölfchen!« Ein Bühnenarbeiter grinste. ihn höhnisch an und öffnete ihm mit einer einladenden Handbewegung die Tür.
Plötzlich überkam ihn Panik. Er wollte nicht noch einmal in einem Käfig ausgestellt werden! Diese Zeiten waren ein für allemal vorbei! Er wollte die Flucht antreten, aber er merkte schnell, dass der Weg in die Freiheit versperrt war. Zu Fromage hatten sich Michel und der zweite Bühnenarbeiter gesellt, die nun bedrohlich auf ihn zukamen.
»Schnell, sperrt ihn ein, bevor er uns entwischt!«, befahl Fromage. Julien stürzte an Michel vorbei, doch dieser fing ihn ab. Schon war er auch von den anderen beiden umringt. Gnadenlos packten sie ihn und stießen ihn trotz aller Gegenwehr in den vergitterten Wagen. Julien stolperte und fiel auf das Stroh, das über dem Holzboden ausgebreitet worden war. Der Riegel wurde vorgeschoben.
»Nein!«, schrie er und warf sich gegen die Tür, in der Hoffnung, sie aufzubrechen. Vergeblich. Er war gefangen! Mit einem Quietschen ging der Vorhang auf. Skurrile Gestalten sammelten sich im Licht der Kerzenleuchter, die überall im Zuschauerraum standen. Die Leute hatten etwas Unwirkliches, geradezu Geisterhaftes an sich. Sie standen reglos da und starrten ihm aus leblosen Gesichtern entgegen. Er wich vor ihnen zurück, prallte doch schon nach einem halben Meter mit dem Rücken an eine Wand. Es war unmöglich, sich in dem engen Zwinger zu bewegen. Julien hatte das Gefühl, sein Käfig würde immer kleiner werden und ihn zerquetschen! Verzweifelt klammerte er sich an die Gitterstäbe und stieß dabei wirre Laute aus, die nicht im Entferntesten an die menschliche Sprache erinnerten. Sein Kopf war leer. In seiner Panik hatte er alles vergessen, was man ihm beigebracht hatte, er konnte nicht mehr sprechen. Er wollte nur eines: heraus aus diesem Käfig! So schnell wie möglich! Julien verstärkte seine Bemühungen. Er rüttelte so heftig an den Gitterstäben, dass der Käfig zu wackeln begann. Ein entsetztes Raunen ging durch die Menge. Aufgeregtes Tuscheln drang zu ihm vor. Aber niemand half ihm, niemand dachte daran ihn zu befreien.
»Er hat
Weitere Kostenlose Bücher