Die Wildkirsche. Erotischer Roman
Künstlern.
»Er ist gleich bei Ihnen«, überbrachte der Diener die Botschaft des Maître und ließ die beiden Männer allein zurück.
Julien fand es erstaunlich, welch großer Aufwand für den Comte betrieben wurde. Kichernde Mädchen in Meerjungfrauenkostümen rannten zu ihren Garderoben, gefolgt von einer dicken Frau im Wikingerkleid, der unzählige Blumen hinterhergetragen wurden. Gerbera, Nelken, Chrysanthemen. Und eine mehrstöckige Torte, die auf einem kleinen, rollenden Tisch durch den Gang befördert wurde, die aber nicht für die propere Sängerin bestimmt war. »Vorsicht!«, rief der Küchenjunge den Tänzern zu, die sogleich nach beiden Seiten auswichen, um für ihn Platz zu machen, damit er durch die Öffnung in den Saal verschwinden konnte.
»Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«, unterbrach der Maître seine Gedanken. Unbemerkt war er zu ihnen herangetreten und musterte die Neuankömmlinge.
»Maître, erinnern Sie sich nicht an meine Wenigkeit Monsieur Chik?«
»Sie sind spät dran«, entgegnete Fromage scharf. »Ein weiterer Nagel auf dem Deckel meines Sargs.« Grimmig schnaubte er in die Richtung der Tänzer, die sich nun auf den Weg zur Bühne machten. Dann wandte er sich erneut Chik zu. »Und jetzt stehen Sie hier, obwohl Sie längst einen Probedurchlauf hätten machen müssen. Aber darauf werden wir wohl oder übel verzichten. Die Vorstellung hat nämlich bereits vor einer Stunde begonnen. Wo haben Sie denn unsere lebende Sensation? Ist er noch draußen, in seinem Käfig? Ich hoffe, Sie hatten keine Schwierigkeiten, ihn hierher zu transportieren.«
Bei dem Wort Käfig sträubten sich Juliens Nackenhaare.
Chik musste seine Anspannung bemerkt haben und warf schnell ein: »Gewiss nicht. Um genau zu sein, er steht neben mir, Maître. Darf ich vorstellen: Dies ist Julien.« Der Gaukler deutete zu dem jungen Herrn an seiner Seite, der höflich sein Haupt neigte, wie er es gelernt hatte.
Ungläubig blickte Fromage Julien an. Dann verlor sein Gesicht zusehends an Farbe. Tiefe Furchen bildeten sich auf seiner schweißnassen Stirn und seine Augen wurden zu kleinen Schlitzen. Die Lippen presste er fest zusammen, als wollte er einen Schrei unterdrücken. Mit zitternder Hand stützte er sich an der Wand ab. Die andere wanderte zu seiner Brust. Im Hintergrund erklang das fröhliche Spiel von Violinen, gefolgt von stürmischem Beifall. »Sagen Sie mir, dass das nicht wahr ist«, sprach er geschwächt.
»Ich verstehe nicht, Monsieur Maître.«
Fromage atmete tief durch, richtete den Blick nach oben und faltete die Hände, als wollte er beten. »Womit habe ich das alles nur verdient. Merde!«
»Aber Maître.«
»Sie hatten mir einen Wilden versprochen, Chik! Eine Bestie! Etwas, das unsere Gäste das Fürchten lehrt. Stattdessen bringen Sie mir diesen unscheinbaren Taugenichts!« Ein verzweifelter Aufschrei drang aus seiner Kehle. Theatralisch wandte er sich ab und presste die Stirn gegen die Wand. »Ich brauche ein gefährliches Tier. Keinen Schwindler.«
»Ich bin kein Schwindler«, rief Julien entrüstet.
»Im ganzen Land spricht man vom Wilden von Gagnion. Jeder weiß, dass er im Wald bei den Wölfen aufwuchs. Seine Geschichte stand sogar in der Zeitung, Maître.«
»Darum geht es nicht!« Langsam drehte sich Fromage um und wischte sich das Gesicht mit seinem Stofftuch. »Sehen Sie ihn sich doch an. Er ist nicht wild, nicht einmal abstoßend. Er sieht aus wie jedermann! Wo bleibt die Sensation? Wo die Unterhaltung? Ich könnte irgendeinen Schauspieler nehmen und ihn als Wolfsmann ausgeben. Ich bin sicher, er wäre in der Rolle glaubwürdiger als Ihr Begleiter.«
Nun war es Chik, der nervös wurde. »Warten Sie, Maître!« Er legte die Hände auf Fromages Schultern, der den lästigen Vagabunden abschüttelte.
»Die Zeit ist knapp. Das haben Sie selbst gesagt! Es ist unmöglich, jetzt noch einen Schauspieler aufzutreiben. Lassen Sie sich nicht von Juliens Äußerem täuschen! Glauben Sie mir, er ist das Tier, das sie suchen.«
Tier? Julien wollte protestieren, doch Chik hob die Hand in seine Richtung und brachte ihn zum Schweigen.
»Halten Sie mich nicht zum Narren. Ich bin nicht blind.« Fromage stolzierte um Julien herum und musterte ihn von oben bis unten wie einen Gaul, den er zu kaufen gedachte. »So kann er nicht auf die Bühne. Ich würde mich mit ihm als Hauptattraktion meines Schauprogramms vor seiner Hochgeboren blamieren. Jedoch habe ich auch keinen Ersatz zur Hand. Und ohne
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