Die Wildkirsche. Erotischer Roman
Zeitung las. Interessant. Bekommen Sie öfter Besuch von ihr während der Arbeitszeit?«, sagte er und deutete auf den großen Korb, der neben Julien am Boden stand.
»Nein, nein.« Verunsichert blickte Julien zu Lorraine, die ihr Kleid richtete und die Falten glatt strich. Aus ihrem Haar zog sie einige Gräser, die sich, so vermutete de Faucet, nur auf eine Weise dorthin verirrt haben konnten. Für de Faucet war es nur zu offensichtlich, dass die beiden eine Affäre miteinander hatten. Es stand ihnen geradezu ins Gesicht geschrieben. Er lächelte müde.
»Ich habe ihm lediglich etwas zu essen gebracht. Die Arbeit auf dem Feld ist sehr anstrengend. Dieses Jahr gibt es sogar mehr zu tun als im letzten. Die Männer arbeiten hart und brauchen ab und an eine Stärkung.«
»Wahrlich, eine fürsorgliche Geste. Ich hoffe, Sie haben weiterhin Fortschritte gemacht, Julien? Sind Ihre Erinnerungen mittlerweile zurückgekehrt?«
»Leider nicht.«
»Ach, wie bedauerlich, dabei hätte ich es Ihnen so gewünscht. Nun, die Zeit rennt davon. Vielleicht mögen Sie mich einmal auf meinem Anwesen besuchen?«
»Sehr gern!«
»Fein, dann können wir unser Gespräch bei einer Tasse Tee oder Kaffee fortführen. Sie hören von mir. Ich wünsche noch einen schönen Tag. Ihnen auch, werte Lorraine.«
»Auf bald, Monsieur de Faucet«, erklang ein leises Stimmchen hinter ihm, während er in die Kutsche stieg und seinen Bediensteten anwies, die Reise fortzusetzen.
Erschöpft ließ er sich auf die Sitzbank fallen und ballte die Hände zu Fäusten. Wie war es möglich, dass Julien noch lebte? Pierre hatte doch behauptet, ihn und den Kutscher erschossen zu haben.
»Ist alles in Ordnung mit Euch?«, wollte das Mädchen wissen, das geduldig auf ihn gewartet hatte, und schmiegte sich an de Faucets schmale Brust. »Ihr seht aus, als hättet Ihr Sorgen, Herr.«
Er stieß sie unsanft zurück. »Ich habe vorerst genug von dir. Kein Wort mehr, hörst du? Oder ich setze dich hier aus. Dann kannst du zusehen, wie du nach Hause kommst.«
Nachdenklich blickte de Faucet aus dem Fenster. Vor seinem geistigen Auge tauchten Bilder auf, die er längst verdrängt geglaubt hatte. Camille de Laquises, die älteste Tochter des Grafen, sank zu Boden. Mitleidlos blickte er in ihr bleiches Gesicht. Ihr Mund war geöffnet. Verzweifelt versuchte sie zu atmen. Doch de Faucets Hände lagen wie ein Eisenring um ihren Hals und lösten sich erst, als sie sich nicht mehr regte. Warum hatte sie sich ihm verweigert? Sie hätte ihren Tod verhindern können, wenn sie sich ihm nur hingegeben hätte.
»Nun zahlst du den Preis, meine Schöne. Hier im Hain von Gagnion wird dich niemand finden.«
De Faucet hatte sie liegen lassen, jene eine, die er begehrt hatte wie niemanden sonst. Dann hatte er den Jungen bemerkt, der sich hinter einem Busch versteckt und den Mord beobachtet hatte. De Faucets Hand hatte rasch den Griff des Dolches an seinem Gürtel umschlossen. Dann war er auf das Kind losgegangen und hatte es am Hals verletzt. Blutend war es in den Wald geflüchtet – und erst Jahre später wieder aufgetaucht. In der Gestalt des Wilden von Gagnion, ohne Erinnerung an das Geschehene.
»Ich werde mich schon noch um dich kümmern, Javier. Verlass dich darauf.«
14. KAPITEL
In der nächsten Woche erhielt Beaumont einen Brief von Amaury de Faucet, den er Julien und Lorraine beim abendlichen Zusammensein im kleinen Salon vorlas. Die Aufregung darüber war dem sonst so selbstbeherrschten Doktor anzumerken. Jeden Satz trug er vor, als handelte es sich um das schönste Gedicht, das jemals geschrieben worden war.
Verehrter Doktor Beaumont,
mit großem Interesse verfolge ich Ihre Arbeit. Ich habe mir Ihr Buch gekauft und lese es mit großer Begeisterung. Das Volk spricht gut von Ihnen, weil Sie sich für die Kinder der Armen einsetzen und sie unterrichten. Bedauerlicherweise, so kam mir zu Ohr, fehlen oft die finanziellen Mittel, um derartige Unterfangen langfristig aufrechtzuerhalten. Da ich ein Bewunderer Ihrer Arbeit bin, möchte ich Ihnen einen größeren Betrag zur Verfügung stellen und Sie einladen, mich in meiner Villa zu besuchen, damit wir die Formalitäten besprechen können. Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr Zögling Julien, den ich bereits kennenlernen durfte, Sie begleiten würde.
Ich verbleibe mit den freundlichsten Grüßen und tiefer Bewunderung
Amaury de Faucet
»Ich frage mich, was ihn zu dieser Großzügigkeit bewogen hat«, sagte Lorraine
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