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Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
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empfand er sich dennoch als sauber, und seltsamerweise durch die eiskalte Bergluft und seine eigenen schweißtreibenden Anstrengungen gereinigt. Weit weg von seiner Mutter und ihrem spirituellen Getue, und was noch wichtiger war, weit weg von jeder Arbeit, die er je gehabt hatte, von jedem Neuanfang, den er versucht hatte. Jetzt konnte er endlich die Erwartungen der Welt abstreifen und den Mann finden, der in ihm steckte.
    Wer ist Jack London? , fragte er sich und war sicher, bei dieser Reise die Antwort darauf zu finden.
    Von der Passhöhe aus schien der Rest des Weges wie ein Geschenk: Erst wurde er flacher, dann senkte er sich sanft Richtung ferne Täler hinab.
    »Wie weit ist es zum Lake Linderman?«, wollte Sloper wissen.
    Jack hob eine Augenbraue und sah zu Jim Goodman, denn selbst er hatte unterschiedliche Schätzungen gehört.
    Goodman zögerte nicht: »Neun Meilen.«
    »Das schaffen wir schon«, sagte Jack und zeigte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Niemand kehrt um, der es über den Pass geschafft hat.«
    Und er hatte recht. Der ganze Verkehr marschierte jetzt in die gleiche Richtung. Männer und Frauen, die zäh genug gewesenwaren, es bis hierhin über den Berg zu schaffen, würden so schnell nicht wieder umkehren. Es lag noch teilweise zurückgelassenes Gepäck links und rechts vom Weg, und etwas voraus konnte Jack zwei tote Pferde ausmachen – die armen Tiere hatten das Schlimmste geschafft, konnten aber keinen Schritt mehr weitergehen –, aber im Großen und Ganzen kamen die Goldgräber jetzt gut voran.
    »Wir sollten uns aber beeilen«, stellte er fest.
    Das schien den schweigsamen, trübsinnigen Goodman aufzurütteln. »Uns beeilen? Ich bin froh, überhaupt am Leben zu sein.«
    Vor ihm waren zwei Männer, die dem Akzent nach Deutsche waren. Soweit Jack das mitgekriegt hatte, hatten sie ihren Schritt verlangsamt, als ob sie lauschen wollten. Jack packte die Pferde fest am Zügel und verlangsamte ebenfalls sein Tempo. Sloper und Goodman taten es ihm nach.
    »Vielleicht gibt’s ja genug Gold für alle«, meinte Jack. »Vielleicht ist der ganze Klondike das wahre El Dorado. Aber ich betrachte hier jeden Menschen auf dem Weg als Konkurrenten, und das solltet ihr besser auch.«
    Merritt Sloper kratzte sich seinen buschigen roten Bart. Sein sonst so fröhlicher Gesichtsausdruck war einer fast kindlichen Traurigkeit gewichen. »Gilt das auch für uns, Jack? Sind wir auch Konkurrenten?«
    Jack grinste. »Na klar seid ihr das, Jungs. Aber bei uns ist es ein freundschaftlicher Wettbewerb. Außerdem gibt es einen anderen Grund zur Eile. Der Winter kommt bald.«
    Goodman schob sich die Brille auf der Nase hoch und höhnte: »Winter! Ha! Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, Jack, hier oben ist immer Winter.«
    »Du weißt schon, was ich meine. Das wird bald alles vereist sein. Wenn wir es nicht nach Dawson schaffen, ehe die Flüsse zugefroren sind, schaffen wir’s vielleicht nie.«
    »Es ist doch gerade erst September«, gab Sloper zu bedenken.
    »Ich habe mich beim Aufstieg mit einem Kerl unterhalten, einem Tlingit-Indianer, der meinte, die Zeichen stehen auf einen frühen Frost. Er sagte, als sein Großvater klein war, sind die Flüsse einmal mitten im August zugefroren.«
    Goodman schüttelte den Kopf, packte die Zügel seines müden Pferdes und legte wieder etwas Tempo zu. »Unmöglich.«
    Sloper jedoch warf Jack einen besorgten Blick zu. »Ist das wahr?«
    Jack ließ die Zügel wieder locker und folgte Goodman mit Sloper an seiner Seite, die Pferde hinterher. »Ich werde dieses Abenteuer überleben, Merritt, das schwöre ich dir. Überleben und mit einem großen Haufen Gold nach Kalifornien zurückkehren. Wenn man ein menschenfeindliches Land bereist, sollte man auf den Rat der Einheimischen hören, die dort leben. Außerdem, spürst du’s nicht? Der Wind lässt meine Zähne klappern.«
    Sloper nickte. Als der Weg breiter wurde, gingen sie nebeneinander und die Pferde dahinter. Sie unterhielten sich über zu Hause und über ihre Träume, über Bücher und Abenteuer. Jack erzählte Geschichten von seiner Zeit als Austernpirat, von Eisenbahnfahrten mit Landstreichern und von Prügeleien am Hafen. Seine dreißig Tage Haft ließ er lieber unerwähnt.
    Seine beiden Gefährten überraschten ihn dann aber, als er feststellte, dass keiner von beiden viel älter war als er selbst.Sloper war Steinmetz und fünfundzwanzig, zehn Jahre jünger als Jack vermutet hatte, während Goodman –

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