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Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
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manövrierte sie in freie Bahnen, die jedoch immer enger und seltener wurden. Sie kamen zwar voran, aber viel langsamer als zuvor. Immer wieder stieß das Boot gegen das Eis. Schneeklumpen fielen ins Boot, Jim schaufelte sie wieder hinaus ins Wasser. Steuerbord und backbord glittendie Eisschollen vorbei, mehrmals hörte Jack die Balken des Rumpfs ächzen, als müssten sie gegen gewaltige Gegenkräfte ankämpfen.
    Jim musste nicht länger schöpfen, denn das Wasser im Boden der Yukonschönheit war festgefroren.
    »Wir stecken fest«, verkündete Merritt schließlich. Er sah sich nicht nach Jack um, und Jim blickte auch nicht auf. Jack konnte es keinem der beiden verübeln. Im Gegenteil, er hatte ihren Optimismus bewundert und hätte wahrscheinlich genauso gedacht, wenn der Wolf nicht gewesen wäre.
    Eine böse Vorahnung hing wie das Damoklesschwert über ihm.
    »Schieb weiter«, sagte Jack. »Vielleicht ist es nur diese eine Stelle. Vielleicht ist es nur ein Engpass.«
    Dieses Mal sah Jim auf und Merritt drehte sich zu ihm um.
    Eine halbe Stunde später, mit einem ohrenbetäubenden Knirschen, das Jacks Zähne zittern ließ, machte der Fluss einen Satz nach vorne und es ging weiter. Das Eis teilte sich, Wasser gluckerte unter den Schollen hervor, und ihr kleines Boot fand sich in einer frei fließenden Bahn wieder.
    »Auf nach Dawson, Jungs!«, jubelte Jack und schwenkte seine Mütze durch die Luft. Als seine Ohren taub wurden, setzte er sie schnell wieder auf. Obwohl er wusste, dass dies nur ein kurzer Aufschub war – vor dem Wintereinbruch würden sie Dawson nicht erreichen –, spürte er plötzlich wieder eine Welle der Begeisterung. Und wenn sie hier irgendwo überwintern mussten, na und? Es war nur ein Teil des Abenteuers, das er sich vorgenommen hatte, das Leben am Schopf zu packen, anstatt es vorüberziehen zu lassen.
    Links von ihm, über der Weite aus Eis und Schnee, stach etwas aus dem Weiß hervor. Jack sah hin, doch es war schon fort.
    Versteckt.
    Etwa siebzig Meilen vor Dawson erreichten sie nahe bei Upper Island einen Seitenarm, den Stewart River. An der Mündung des Stewart in den Yukon stießen die Eisschollen aufeinander und verursachten einen Stau, der bald zu einer festen Eisdecke wurde. Jetzt war es endgültig aus. Sie schafften es gerade noch, die Yukonschönheit aufs Eis zu ziehen, bevor sie von den Schollen zermalmt wurde. Dann kam die lange, mühselige Prozedur, das Gefährt bis zum schneebedeckten Ufer zu schleppen. Hier draußen auf dem Eis gab es keinen Schutz vor Wind und Wetter, und wenn das Schicksal es so wollte, dass sie sich für den Winter ihre eigene Unterkunft bauen mussten, dann sollten sie lieber gleich damit anfangen, und zwar mit dem Holz vom Boot. Die Luft war kälter denn je, und Jack wusste, dass einem unbemerkt die Finger erfrieren konnten. Wenn es noch kälter würde, würde selbst die Spucke in der Luft gefrieren, sie würden ihre Finger nicht mehr benutzen können, und dann würden sie sterben.
    Voll Gepäck und mit dem Eis, das am Rumpf festgefroren war, war das Boot schwer. Obwohl sie zu dritt zogen, dauerte es eine ganze Weile, bis sie es an Land hatten. Zum Glück waren sie in Ufernähe gewesen, als sie das Eis endgültig eingekeilt hatte. Bis zum Abend hatten sie das Boot am Ufer. Sie brachen neben dem Boot erschöpft zusammen und machten ein Feuer. Jack stöhnte ein leises Dankgebet, als die erste tanzende Flamme emporzüngelte.
    Manchmal versuchte er, sich vorzustellen, wie es für die ersten Menschen gewesen sein musste, die das Feuer brauchten, um sich zu wärmen und zu schützen und um die Kälte, die Dunkelheit und die Raubtiere in der Nacht zu vertreiben. Er hatte auf der Straße gelebt, in Ackergräben und Eisenbahnwaggons übernachtet, und viele Male Hunger gelitten, aber trotz allem war Jack, wie die meisten Menschen, denen man begegnete, daran gewöhnt, dass Licht, Wärme und Wasser mehr oder weniger auf Abruf bereit standen. Es war schwer, sich das Leben dieser ersten Menschen vorzustellen, Höhlenbewohner und primitive Jäger. Es gab da eine Grenze, die nicht nur durch Sprache und Verständnis, sondern auch durch den Fortschritt der Zivilisation geschaffen wurde.
    Auch hier am Lagerfeuer konnte er sich, obwohl er dankbar für Licht und Wärme war, kaum vorstellen, wie es für die Urahnen vor vielen tausend Jahren gewesen sein musste. Er und seine Gefährten waren zwar genauso auf das Feuer zum Überleben angewiesen. Doch lag neben ihnen das Boot voller

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