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Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
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immer wie der Anführer ihres kleinen Teams gefühlt, und ihr Aufenthalt in der kleinen Hütte bestätigte das nur. Er hatte seine Bücher und las ihnen lange Passagen daraus vor. Darwins Entstehung der Arten, Miltons Das Verlorene Paradies und andere. Jedes davon schien einen besonderen Bezug zu der Situation zu haben, in der sie sich befanden. Jim und Merritt begrüßten für ihren Teil seine Lesungen, und die drei diskutierten anschließend oft lange über das Vorgelesene und wie sie es gefunden hatten.
    »Gottloser Heide«, grummelte Jim eines Tages, nachdem Jack wieder aus Darwin vorgelesen hatte.
    Jack blinzelte überrascht und warf Merritt einen Blick zu.
    »Bist du kein Anhänger von Mr. Darwins Thesen?«, wollte Merritt wissen.
    »Ein Anhänger?«, wunderte sich Jim. Er setzte sich auf, angeregter, als Jack ihn seit Stunden gesehen hatte. »Dieser Mensch leugnet jahrhundertealte Weisheiten. Er schmäht den Schöpfer, der ihm das Leben geschenkt hat, sein Schiff, die Mittel zu forschen, das Wissen, um …«
    »Aber Gott hat ihm doch auch seinen Intellekt geschenkt?«, fragte Jack. »Einen Verstand, um Fragen zu stellen?«
    »Natürlich hat er das. Aber Darwin hat sich dazu entschieden, ihn zu missbrauchen.«
    Jack lehnte sich vor und wollte noch etwas sagen, doch dann verkniff er es sich. Für ihn war Gott genauso real wie viele andere Dinge, die er noch nie persönlich gesehen hatte, und er war nicht so beschränkt, ihn rundheraus abzulehnen. Doch genausowenig sollte man ein Werk wie Darwins, von solch wissenschaftlicher Brillanz und künstlerischer Schönheit, einfach so von der Hand weisen. Seine These war gewagt und ausgefallen und letztendlich eine Herausforderung. Wenn Gott Darwin solch einen genialen Verstand gegeben hatte, wollte er sicher auch, dass er davon Gebrauch machte.
    »Und wo ist dein Buch?«, fragte Merritt und erhob die Stimme vor Überraschung und wachsendem Zorn.
    »Ich hab alles hier drin«, Jim tippte sich auf die Stirn. »Und ich glaube es hier drin«, er klopfte sich auf die Brust.
    »Tja, wenn Darwin recht hat und der Fähigste überlebt, sorgen wir dafür, dass du eine schöne Beerdigung bekommst«, schoss Merritt zurück.
    Jack stand auf und hielt beide Hände hoch, um die Männer wieder zu beruhigen. Er wechselte rasch das Thema, indem er eine weitere lange Passage aus dem Verlorenen Paradies mit übertriebener Dramatik vorlas, um die eisige Stimmung mit warmem Humor aufzulockern. Doch der erste von vielen Spannungsmomenten, die in diesem Winter in der kleinen Hütte Einzug halten würden, war bereits da.
    Das Wetter verschlechterte sich. Die Temperatur fiel, die Kälte ließ den Männern den Atem gefrieren, und ihre Spuckeknisterte in der Luft. Oft wachten sie in der Frühe auf und hatten Eis in den Bärten und zusammengefrorene Wimpern, sodass sie ihre Augen erst wärmen mussten, ehe sie sie öffnen konnten. Es schneite tage- und wochenlang, und als es endlich aufhörte, war der Schnee einen Meter tief und knirschte unter ihren Füßen.
    Am ersten Morgen ohne Schneesturm war Jack entschlossener denn je, ihnen etwas zum Kochen und Essen zu fangen. Er und Merritt gingen weiter und länger als je zuvor, und kehrten mittags mit einem dürren Kaninchen zurück. Während Jack anfing es zu häuten und auszunehmen, wollte Jim wissen, warum er so fröhlich war.
    »Ich habe wieder ein Jahr mehr in dieser erstaunlichen Welt verbracht«, sagte Jack leise. Er spürte seine Finger kaum, und mehrmals entglitt ihm das Messer.
    »Du hast Geburtstag«, begriff Merritt.
    Jack nickte und lächelte.
    »Wie alt?«, wollte Jim wissen.
    »Achtzehn. Aber ich komme mir vor wie achtzig.« Als er vom Kaninchen aufblickte, schauten ihn beide Männer traurig an. Was ist denn? fragte er sich, doch als er wieder auf seine Hände sah, wusste er es. Er war der Einzige von ihnen, der trotz ihrer Verzweiflung und der Wahrscheinlichkeit, dass dieser Winter ihr letzter sein würde, immer noch einen Zauber in ihrer Umgebung finden konnte. Die anderen beiden sahen nur Entbehrungen und drohende Vernichtung. Doch Jack erkannte die Schönheit darin.
    »Alles Gute, Jack«, flüsterte er sich zu. An diesem Tag wurde das Kaninchen nicht mehr fertig.
    Jack begann, alleine spazieren zu gehen. Es stand zwar indirektem Widerspruch zu dem, was er selbst geraten hatte, und die anderen protestierten auch, aber Jack setzte sich durch. Er hatte immer ein Gewehr dabei, um Wild erlegen zu können, wenn er eines sah, aber er war nie

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