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Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
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hatte ihn nicht nur beobachtet, es beschützte ihn auch . Sie hatte ihm oft von Schutzgeistern erzählt. Und das hier könnte seiner sein.
    Doch das graue Tier existierte nicht nur als Erscheinung in seinem Hirn. Der Wolf kam nun zu ihm und ließ das kleine tote Beutetier in den Schnee fallen. Dann hielt er es mit derPfote fest und riss es mit den Zähnen auf. Das Blut bespritzte das winterliche Weiß. Dann schnappte er es schnell wieder und kam vorsichtig näher. Er hatte zu recht keine Angst vor Jack, denn der war so schwach, dass er sich kaum bewegen oder denken konnte. Das Blut strömte aus dem toten Tier. Jack versuchte, sein Gesicht abzuwenden, sein Magen knurrte vor Hunger und drehte sich zugleich vor Ekel um.
    Der Wolf knurrte leise und warnend. Jack blieb still liegen und ließ sich das Blut auf die Lippen, die Nase und den Hals ergießen, doch seinen Mund hielt er fest geschlossen. Was auch immer der Wolf vorhatte, er selbst hatte genug davon, sich vom frischen Blut der Opfer wärmen zu lassen.
    Wieder knurrte der Wolf und ließ fast schon aufdringlich den kleinen Kadaver direkt auf Jacks Gesicht fallen. Er schnupperte an Jack, als sauge er seinen Atem in sich auf. Er stupste mit der Schnauze gegen seine Wange, knurrte kurz und zog sich zurück. Auf halbem Weg zu den Bäumen blieb er stehen, warf den Kopf in den Nacken und heulte. Das Geräusch berührte Jack tief, wickelte sich um sein Herz und erfüllte ihn mit Trauer und Niedergeschlagenheit und einer ihm bislang völlig unbekannten Sehnsucht. Der Wolf sah ihn wieder an, als wolle er, dass Jack mit ihm durch die schneebedeckten Wälder laufe. Doch Jack konnte nicht laufen. Er konnte nicht einmal stehen.

    In einem plötzlichen Übergang von der Ruhe zur Bewegung schoss der Wolf zwischen den Bäumen davon und heulte wieder, während er im winterlichen Wald verschwand. Jack horchte solange er konnte, und als das Geheul so weit entfernt war, dass es fast nicht mehr zu hören war, fühlte er sich wieder in die Finsternis gleiten. Er hatte aber nicht mehr die Konzentrationsich zu fragen, ob diese Finsternis nur Bewusstlosigkeit oder schon der Tod war.
    Es flüsterte im Dunklen. Stimmen. Da eine der Stimmen mehr nach Merritt Sloper als nach dem Heiligen Petrus klang, schloss Jack daraus, dass er immer noch am Leben sein musste. Er versuchte, seine Augen zu öffnen, schaffte es aber nicht. Seine Lippen standen etwas offen, und er spürte eine Eisschicht auf seinem mehrere Wochen alten Bart. Er musste mit der Zunge fühlen, um die Öffnung zu finden, die sein Atem in der Eismaske frei gehalten hatte.
    »Er atmet. Ich sagte doch, er atmet noch«, meinte eine der Stimmen.
    Jim , dachte Jack. Goodman . Guter Mann. Jim Goodman . Innerlich lächelte er, doch die Muskeln in seinem Gesicht machten nicht mit.
    »Er hat bestimmt Frostbeulen«, erwiderte Merritt. »Wenn er es überhaupt überlebt.«
    »Der überlebt schon«, entgegnete Jim. »Sieh ihn dir an. Irgendjemand hat ihn am Leben gehalten. Ein Einsiedler oder Indianer vielleicht.«
    »Sieh dich um. Siehst du irgendwo Fußspuren?«
    »Nur Wolfsspuren. Moment mal … denkst du, ein Wolf hat das gemacht? Diese ganzen Tiere gefangen und das Fleisch hier gelassen? Bei allem Respekt, Merritt, so ein Verhalten wäre für einen Wolf ganz und gar wesensfremd. Das entspricht einfach nicht seiner Natur …«
    Ihrem kleinen Zanken zuzuhören, wärmte Jack. Einer von ihnen ging neben ihm in die Knie, und einen Moment später, als er die Stimme hörte, wusste er, dass es Merritt war.
    »Natürlich ist da überhaupt nichts dran«, sprach der Große. »Und jetzt hilf mir, Jim. Wir müssen ihn zur Hütte ans Feuer bringen, sonst können ihn nicht mal die Engel im Himmel retten.«
    Jack fühlte, wie sein Kopf ein bisschen wackelte, doch es dauerte eine Weile, bis er Merritts Finger in seinem Gesicht spürte. Der Mann hatte seine Hände auf Jacks Wangen gelegt, um sie zu wärmen. Die Wärme der Hände seines Freundes schoss Jack durch die Backen wie Nadelstiche, und etwas Gefühl kehrte zurück.
    Er hörte, wie Merritt sich in die Hände pustete, ehe er die Prozedur wiederholte.
    »Jim! Mensch, komm schon!«, drängte Merritt.
    Doch Jim zögerte noch. »Es sieht aus wie … wie ein Blutbad. Was auch immer über ihn wacht, Engel sind es nicht.«
    »Verdammt noch mal, Jim!«, bellte Merritt.
    Jack blinzelte, die Eisschicht auf seinen Augenlidern schmolz schon dank Merritts Wärme. Er versuchte, etwas zu sagen. Ihr zankt euch wie zwei

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