Die Wildnis
abgeknallt, Jack«, erzählte Jim mit einem gehetzten Blick in den Augen, die ins Feuer starrten und in seiner Erinnerung irgendetwas ganz anderes sahen. »Wenn meine Büchse nicht festgefroren gewesen wäre, hätte ich ihn vielleicht umgebracht.«
Doch Merritt schüttelte den Kopf. »Nein. Das glaube ich nicht. Den nicht.«
Jim erschauderte, setzte sich aber etwas aufrechter hin, und sein Blick wurde streng. Aberglauben schien ihn zu beleidigen. Er sah sich unruhig um, und seine Hände bewegten sich fahrig, als würden sie etwas suchen. Jack wusste, dass er seine Bibel brauchte, doch die lag wohl im anderen Zimmer neben seinem Schlafplatz, wo er sie gerne zur Hand hatte. Nah an seinem Herzen.
»Sei kein Narr. Ein Wolf ist nur ein Wolf«, entgegnete Jim und belastete damit sein sonst so harmonisches Verhältnis zu seinem Freund.
»Der nicht«, antwortete Merritt finster, und Trotz blitzte in seinen Augen auf. Als Jim nichts erwiderte, wandte sich Merritan Jack. »Er hat da am Waldrand gesessen, halb zwischen den Bäumen versteckt, und diese Hütte angestarrt – mich angestarrt – genauso wie meine Mutter früher an der Haustür gewartet hat, wenn ich zu spät zum Essen gekommen bin. Dieser Wolf wollte, dass wir aufmerksam werden.«
Jim nickte. »Da gebe ich dir jedenfalls recht. Ein Riesenvieh war das.«
»Irgendwann wurde uns klar, dass wir der Sache nachgehen mussten«, fuhr Merritt fort. »Ich hab das Gewehr mitgenommen und bin zu der Stelle, an der er seit Stunden gewartet hatte, doch vom Wolf keine Spur mehr …«
»Tiefer im Wald verschwunden«, unterbrach Jim.
Merritt wandte den Blick ab, als ob es mehr dazu zu erzählen gab.
»Also seid ihr ihm gefolgt?«, fragte Jack. Seine Finger waren steif und taten weh, seine Beine fühlten sich immer noch wie gefrorene Rinderhälften an. Die Kälte war tief in ihn eingedrungen, und er fühlte sich, als ob ihm nie wieder warm werden würde, egal, wie heiß das Feuer auch wäre.
»Wir sind ihm gefolgt«, wiederholte Jim.
»Nichts dergleichen haben wir getan«, grollte Merritt. Er grummelte entnervt und sah Jack an. »Wenn ich sage, vom Wolf war keine Spur, dann meine ich das auch. Nichts. Keine einzige Spur von ihm, als wenn er gar nicht …«
Er ließ den Satz unvollendet.
Jim sah keinen der beiden an. Er begann stattdessen, seine Brille mit seinem Ärmel zu putzen.
»Wie habt ihr mich dann gefunden?«, fragte Jack und näherte sich Zentimeter um Zentimeter dem Ofen, während er die goldgrünen Flecken in Merritts Augen anstarrte.
»Ein Schatten im Wald, sonst nichts«, antwortete der große Mann. »Jim sagte, es war der Wolf, aber ich habe nichts davon gesehen, außer die Augen und den Schatten. Er lief uns voraus, er wartete, wenn wir hinterherhinkten, und führte uns bald schnurstracks zu dir. Als wir das ganze Blut gesehen haben und all die aufgerissenen Hasen und so, waren wir uns sicher, dass du von einem Bären angefallen worden bist.«
Jim stand auf und klopfte sich den Hosenboden ab. »Es hatte geschneit. Die Spuren waren verdeckt. Der Wolf hat uns zu dir geführt.« Er wandte sich ab und ging weg.
Jack und Merritt wechselten Blicke, sprachen aber nicht mehr davon. Keiner wollte darüber reden.
Die Wochen vergingen. Jacks Rettung schien ein Wendepunkt in ihrem Schicksal zu sein. Ihr Proviant ging zwar immer noch rapide zuneige, doch ihre Jagdzüge hatten öfters Erfolg. Und immer, wenn sie einige Tage ohne Frischfleisch auskommen mussten, fand einer von ihnen in der Nähe der Hütte ein verletztes Kaninchen oder Eichhörnchen, das eine Blutspur hinter sich herzog von der Stelle, an der irgendetwas es verletzt hatte.
Sobald sich Jack gut genug fühlte und die Kälte nicht mehr an seinen Knochen zu nagen schien, nahm er seine täglichen Spaziergänge wieder auf. Diesmal ging er jedoch nicht vom Lager weg, um mit seinem Verfolger Kontakt aufzunehmen. Zu seiner großen Verwirrung, und einer Mischung aus Erleichterung und seltsamer Traurigkeit, hatte das Gefühl, beobachtet zu werden, stark abgenommen, sodass es nur noch am Rande seiner Wahrnehmung existierte. Wenn der Wolf – das Wesen, das er begonnen hatte, als seinen Schutzgeist anzusehen – immer noch bei ihm war, ließ er sich nicht dazu herab, sich zuzeigen oder anders auf sich aufmerksam zu machen. Hin und wieder hörte Jack zwar Geheul, aber er spürte nicht die Aufregung des Wiedererkennens. Das waren ganz normale Wölfe, die genauso wie Jack, Merritt und Jim versuchten, die weiße
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