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Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
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zum Fluss, warteten und beteten.
    Merritt nickte. »Das Eis bricht auf. Ihr solltet es hören. Es klingt, als ob der ganze Planet auseinanderbricht. Es bewegt sich auch schon, hier und da verschieben sich die Schollen.«
    Jack jauchzte laut auf und nahm ihn in die Arme, danndrehte er sich wieder zur Hütte. »Packt eure Sachen, meine Herren! Wir fahren nach Dawson!«
    Doch Jim stand immer noch in der Tür der Hütte. Er hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Jack dachte zuerst, ihm sei etwas Schreckliches passiert, irgendein Wahn oder eine Krankheit. Dann hörte er seine sanften, zitternden Atemzüge und das Gebet, das er mit bebender Stimme sprach.
    »Ist schon gut, Jim«, sagte Jack und legte ihm ganz fest die Hand auf die Schulter. »Jetzt wird alles gut. Wir haben es geschafft.«
    Erst jetzt hob Jim die Augen und sah seine Freunde an. Zuerst lächelte er, dann lachte er, und augenblicklich lachten und jubelten alle drei vor Begeisterung.
    Merritt klopfte Jack auf die Schulter. »Also los, Junge. Setz den Kaffee auf. Den haben wir uns verdient!«
    Jack tat, wie ihm gesagt worden war, und störte sich auch nicht daran, von Merritt »Junge« genannt zu werden. Noch nie hatte eine Tasse Kaffee so gut geschmeckt.
    Die folgenden Tage waren mit die längsten, die Jack je erlebt hatte. Während der Schnee schmolz und die Sonne ihr Gesicht zeigte, erfüllte ihn ein Gefühl der Wiedergeburt – des Wiedererwachens des Lebens, der Bestimmung. Die Welt um ihn herum schien aus dem Schlaf geweckt worden zu sein. Mit dem Rückzug des Winters schwand auch die Aura der Mystik, die das Land bedeckt hatte. Merritts und Jims widersprüchlicher Aberglauben schien sich wie Nebel zu lichten.
    Schmelzwasser tropfte von den Bäumen, das wie Diamanten funkelte, wenn die Morgensonne die Landschaft beschien.Die Tage wurden immer länger, und Jack verbrachte den Großteil eines jeden Tages unten am Fluss.
    Er stand in sicherer Entfernung vom Ufer weg und hütete sich vor dem Tumult, den die Frühjahrsschmelze verursachte. Als spränge das große Uhrwerk der Welt wieder an, floss der Yukon immer schneller unter dem Eis. Risse bildeten sich, Schollen verschoben sich, und am dritten Tag seiner Uferwache schien sich der ganze Fluss anzuheben und stromabwärts loszustarten.
    »Es ist wunderschön«, flüsterte Jim Goodman.
    Jack hatte ihn nicht kommen hören. Er war so verzaubert, dass er den Blick nicht losreißen konnte. Das Eis buckelte und barst in Stücke, die einzelnen Teile stießen zusammen und drängelten sich, stetig vorwärtsströmend. Der Fluss ächzte, als ob die Erde sich selbst auseinanderreißen würde.
    »Ja, das ist es.«
    Über eine Stunde standen die beiden da, dann kam Merritt auch noch hinzu. Alle drei bestaunten überwältigt das Spektakel. Dampf stieg von den schmelzenden Eisbergen auf. Das Toben des Flusses war so gewaltig, dass riesige, weißblau leuchtende Eisklumpen aus dem Wasser aufs verschneite Ufer geschleudert wurden, die dann wieder ins Wasser glitten, als der Schnee unter ihnen schmolz.
    Jack erblickte eine dunkle Masse zwischen dem Eis. Er hob die Hand, um seine Augen vor den blendenden Sonnenstrahlen auf dem Eis zu schützen, und starrte sie an. Da erkannte er, was es war: der zerbrochene, zerborstene Rumpf eines kleinen Bootes. Eine hoffnungsvolle Gruppe Goldgräber, die hinter ihnen gewesen war und wohl genau wie sie vom Wintereinbruch erwischt worden war. Doch sie hatten es nicht rechtzeitiggeschafft, das Boot aus dem Wasser zu hieven, ehe der zufrierende Fluss es zermalmt hatte.
    Er kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und versuchte zu erkennen, was die zweite Masse neben der ersten im Wasser war. Riesige Eisschollen und andere Dinge trieben den Fluss entlang, darum hielt er das steife, durchnässte Etwas zuerst für einen entwurzelten Baum. Doch dann erkannte er bleiche Finger, einen marmorweißen Arm und begriff, dass die Insassen dieses Bootes es nicht mehr vom Eis geschafft hatten. Der Winter hatte sie solange konserviert, doch nun lieferte der Frühling sie dem Fluss aus.
    Jack sah Merritt und Jim an. Sie lächelten und versuchten, sich trotz dem Rauschen des Flusses und Knirschen des Eises zu unterhalten. Seine Freunde hatten den Leichnam nicht bemerkt, und er brachte es nicht übers Herz, sie darauf hinzuweisen. Schließlich war der Frühling gekommen. Für sie zumindest, wenn auch nicht für jeden.
    »Kommt, Freunde!«, rief er. »Wir packen unsere Sachen. In ein paar Tagen lassen wir die

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