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Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
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Yukonschönheit ins Wasser. Auf nach Dawson!«
    Meilenweit vor ihnen sahen sie schon flussabwärts die Rauchschwaden aus den Kaminen von Dawson aufsteigen. Jim schöpfte das Wasser aus dem lecken Boot, während Merritt versuchte, ihre Ausrüstung vor der Nässe zu bewahren. Am wichtigsten war ihnen, die Pelzmäntel trocken zu halten, die sie sich über den Winter genäht hatten. Falls sie nass würden, würden die Felle stinken und außerdem entsetzlich schwer werden. Sie hätten sie vielleicht anziehen sollen, aber nun, da es Frühling war, reichten ihre dicken Mäntel und Mützen.
    Jack hielt das Steuerruder fest in der Hand, doch die Riemen waren verstaut. Bei der starken Strömung, mit der der tosende Yukon vorantrieb, von der Schneeschmelze angeschwollen, war das Rudern überflüssig geworden. Der Fluss trug sie mit sich wie auf der Kuppe einer Welle. Jack saß mit hoch erhobenem Kopf im Heck, steuert und atmete die kristallklare Luft ein, die für ihn nach Triumph roch. Er hatte vielleicht noch nicht die Wildnis bezwungen, er war vielleicht noch kein Eroberer, aber er hatte überlebt und sie gemeistert.
    Als sie um eine Flussbiegung kamen und Dawson vor sich sahen, lachte Jack laut auf. Und Merritt klopfte Jim vor lauter Begeisterung so heftig auf den Rücken, dass der schlaksige Schulmeister fast ins Wasser kippte.
    Dawson bot keinen besonders beeindruckenden Anblick. Nach Dyea hatte Jack mehr von diesem neuerdings so sagenumwobenen Ort erwartet als einen Wirrwarr aus Zelten am Ufer und Straßenzügen voller ein- und zweistöckiger, heruntergekommener Holzhäuser, matschigen Straßen und Gossen voller Dreck und Abfall. Wenn überhaupt, dann war Dawson trotz des enormen Ausmaßes noch schäbiger und weniger bedeutend als Dyea. Als er sie auf den halbverfallenen Pier zusteuerte, und seine Freunde nun zu den Rudern griffen, um sie steuern zu helfen, begriff er langsam.
    Was auch immer andere dazu sagten, Dawson war gar keine Stadt. Es gab vielleicht Saloons und Spielhallen, Musik und Prostituierte, eine Zeitung, einen Zahnarzt und alle anderen äußeren Anzeichen der Zivilisation. Es gab vielleicht Häuser und hölzerne Gehwege und Banktresore voller Geld. Doch das waren nur Nebenprodukte in der Realität von Dawson. In den kalten Lüften wirbelte der Kaminrauch davon, die Sonneschien herab, Hunde zogen Schlitten voller Waren ausgetretene Spuren entlang, Hunderte von Menschen liefen oder lungerten herum, und alle suchten sie nach Gold, beteten um Gold, bettelten um Gold oder verkauften ihre Körper und Seelen für Gold.
    Dawson war gar keine Stadt. Es war ein Goldgräberlager, roh und grimmig und bevölkert von Neid und Gier. Und Hoffnung. Ja, auch das. Das ist ein wilder Ort, dachte Jack. Hier konnten Träume erschaffen oder vernichtet werden, ganz nach dem Mut und Schicksal jedes Einzelnen. Der mutige Mann nimmt sein Schicksal selbst in die Hand.
    Das war der Gedanke, der ihm im Kopf widerhallte, während er das Ruder aus dem Wasser holte, ein Seil ergriff und aufs Dock sprang. Merritt und Jim ruderten gegen die Strömung, während Jack die Yukonschönheit festzurrte.
    »Los jetzt, Jungs«, meinte Merritt und lud die Felle schon auf den Steg. »Alles ausladen. Die Schönheit sinkt.«
    Jack sah, dass er recht hatte. Jim hatte das Schöpfen aufgeben müssen, um rudern zu können, dabei war das Boot zwischen den Planken immer voller gelaufen, und das Wasser sammelte sich am Boden. Wenn keiner es abschöpfte, würde das Boot innerhalb kürzester Zeit auf Grund liegen. Doch Jack machte das nichts aus. Die Yukonschönheit hatte ihre Aufgabe erfüllt.
    »Sie hat uns hergebracht«, sagte er zu Merritt und hob ein schweres Bündel auf den Pier. »Das ist, was zählt. Jetzt sind wir dran.«

KAPITEL 6

STADT DER HOFFNUNG UND DER GIER
    Aus der Ferne hatte Dawson schon schlimm genug ausgesehen. Aus der Nähe – wenn man dann tatsächlich durch die Straßen ging und die Luft dort einatmete – war es noch viel schlimmer, erkannte Jack.
    Es war ein wilder, rauer Ort, der nur die falsche Maske der Zivilisation übergestreift hatte. Genau wie die aus groben Brettern zusammengezimmerten Häuser, die hinter extravaganten, bunten Fassaden die Straßen säumten, war die Realität hier trostlos und grau. Diesen Ort sollte es eigentlich gar nicht geben , dachte Jack, und sogar seine neugefundene Begeisterung schien beim Anblick von Dawson zu welken und einzugehen.
    Jack und Merritt ließen Jim am Ufer bei ihren Sachen zurück und

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