Die Wildrose
Ausbruch von Kriegsfieber bei der Regierung. Unsere Bewegung befürchtet, dass der Druck, das Wahlrecht für Frauen durchzusetzen, abnehmen und gegenüber militärischen Belangen ins Hintertreffen geraten wird.«
»Dann musst du gut gerüstet sein für den Kampf«, sagte Max. »Wo essen wir heute? Ich dachte ans Eastern.«
»Das ist ein bisschen weit weg, und ich habe nicht viel Zeit, da ich heute Nachmittag eine Menge Termine habe. Wie wär’s mit etwas Näherem? Eine Straße weiter gibt es ein nettes Pub.«
Max heuchelte Interesse an ihrem Vorschlag und tat, als wäre er für alles zu haben, obwohl er im Moment nicht die geringste Lust verspürte, irgendwohin zum Essen zu gehen.
Der Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien spitzte sich immer mehr zu, und der Kaiser hatte seine Bereitschaft signalisiert, sich ins Kampfgetümmel zu stürzen. Berlin erwartete wichtige Informationen von Max, doch er konnte nichts liefern, weil er immer noch keine Möglichkeit gefunden hatte, die Dokumente von Gladys Bigelow in die Nordsee zu schaffen.
Einmal hatte er riskiert, sich im Bus mit ihr zu treffen, um ihr zu sagen, dass sie weiterhin Durchschläge aus Burgess’ Büro bringen, aber sie bei sich zu Hause aufbewahren sollte, bis sie weitere Instruktionen erhalte. Es gab Momente, da war er so verzweifelt, dass er fast wieder in seine alte Verkleidung geschlüpft wäre, in der er Gladys damals verführt hatte, und die Papiere selbst bei ihr abgeholt hätte. Aber das war natürlich ganz ausgeschlossen. Er durfte sich in der Nähe des Duffin’s nie wieder in diesem Aufzug blicken lassen.
Er musste geduldig sein, so schwer es ihm auch fiel. Er hatte immer donnerstags mit Harriet gegessen, und daran durfte sich nichts ändern. Nach dem Desaster mit Bauer, Hoffman und Maud und für den Fall, dass man ihn inzwischen beschattete, musste sein Verhalten so vorhersagbar sein wie der englische Regen.
»Und natürlich gibt’s noch immer das Café der Moskowitzes«, sagte Harriet. »Was hältst du davon, Max? Max?«
»Gute Idee, finde ich«, antwortete er schnell und hoffte, sie hatte nicht bemerkt, dass er mit den Gedanken ganz woanders gewesen war.
»Gut«, sagte Harriet. Sie legte die Akte, die sie gelesen hatte, auf einen Stapel mit anderen Akten. Er warf einen Blick auf den Namen der Akte – Jennie Finnegan. »Suzanne!«, rief sie.
Harriets Empfangssekretärin steckte den Kopf durch die Tür. Harriet reichte ihr den Aktenstapel. »Könnten Sie nach dem Lunch diese Akten ablegen? Aber nicht die drei oberen – von Mrs Finnegan, Mrs Erikson und Mrs O’Rourke. Die kommen in meine Aktentasche. Alle drei haben morgen einen Termin, und ich möchte heute Abend zu Hause noch mal meine Notizen durchgehen.« Suzanne nickte, nahm die Unterlagen und kehrte in ihr Büro zurück.
Max hatte das leichte Stirnrunzeln bemerkt, als Harriet Jennie Finnegans Akte las. Ihre Reaktion hatte sein Interesse geweckt. Irgendetwas in Jennie Finnegans Akte machte ihr Sorgen. Er erinnerte sich an das Zusammentreffen mit Willa im Coburg und an ihr Stelldichein mit Seamus Finnegan – Jennies Ehemann. Weshalb sorgte sich Harriet wohl um Jennie, und hatte dies irgendetwas mit den Vorgängen im Coburg zu tun? Er beschloss, Harriet vorsichtig auf den Zahn zu fühlen. Das Wissen um die Privatangelegenheiten anderer Leute erwies sich oft als äußerst nützlich.
»Mrs Finnegan …«, begann er vorsichtig. »Ist das etwa die frühere Jennie Wilcott? Seit ihrer Hochzeit habe ich weder sie noch ihren Mann wiedergesehen. Was für eine hübsche Braut sie doch war. Und was für ein herrlicher Tag. Blauer Himmel. Blumen. Wir alle zusammen. Wer hätte gedacht, dass nur ein paar Wochen später …« Er brach ab, schluckte schwer, dann nahm er eine Holzrassel von Harriets Schreibtisch und spielte damit herum.
Harriet griff über den Schreibtisch und legte die Hand auf die seine. »Du bist nicht schuld daran, Max. Das weißt du. Jeder weiß das.«
Er nickte. »Wir sollten von erfreulicheren Dingen sprechen.« Er hielt die Rassel hoch und klapperte lächelnd damit. »Zum Beispiel von Babys. Was ist schöner als ein Baby? Jennie und ihr Mann sind sicher schon ganz aufgeregt, so bald Nachwuchs zu kriegen. Wie geht es ihr? Hoffentlich gut?«
»Soweit ich weiß, ja«, antwortete Harriet leicht abwesend.
Was für eine seltsame Antwort, dachte Max, beschloss aber, nicht weiter nachzufragen. Harriet war eine entschiedene Verfechterin der Schweigepflicht. Er
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