Die Wildrose
wir uns gleich hier in dem Laden besorgen.«
»Und eine Angelschnur. Wahrscheinlich bräuchten wir irgendeine Angelschnur. Ich glaube …« Plötzlich rang Jennie nach Luft, als ein entsetzlicher Krampf sie schüttelte.
»Jennie? Was ist?«, fragte Josie.
»Nichts, ich …« Sie brach ab, als ein noch heftigerer Schmerz sie durchfuhr.
Sie machte ein paar Schritte und spürte dann etwas Warmes und Feuchtes zwischen den Beinen. Sie brauchte gar nicht hinzusehen, um zu wissen, dass es Blut war.
»O nein«, rief sie völlig verängstigt. »Bitte nicht.«
»Jennie?«, fragte Josie mit vor Sorge aufgerissenen Augen. »Was ist los?«
»Ich glaube, es ist das Baby … ich … ich blute«, stotterte Jennie hilflos und begann zu weinen.
»Komm«, sagte Josie und nahm ihren Arm. »Da gibt’s einen Arzt am Dorfrand. Es ist gleich da vorn. Dr. Cobb heißt er. Ich hab das Schild gesehen, als ich hier ankam. Ich hab’s mir gemerkt. Falls was passieren und ich jemanden brauchen sollte. Es ist nicht weit.«
»Nein!«, widersprach Jennie und schüttelte sie ab. »Ich gehe zu keinem Arzt.«
»Bist du verrückt? Du brauchst Hilfe. Und das Baby auch.«
»Ich gehe nicht hin. Er darf es nicht wissen. Niemand darf das.«
»Wer darf nichts wissen?«, fragte Josie. »Der Doktor?«
»Seamie. Mein Mann. Er darf’s nicht wissen«, antwortete Jennie mit erhobener Stimme. Sie wurde hysterisch, konnte sich aber nicht beherrschen. »Wenn die Krämpfe nicht aufhören, wenn ich weiterblute«, rief sie außer sich, »dann verliere ich das Baby und ihn auch.«
Josie sah sie voller Mitgefühl und Verständnis an. »So steht es also zwischen euch, ja?«
»Ja, so steht es.« Eigentlich wollte sie Josie gar nichts von diesen Dingen erzählen, aber es sprudelte vor lauter Verzweiflung einfach aus ihr heraus. »Er hat jemanden … eine andere Frau. Und ich hab nichts als dieses Baby. Das ist das Einzige, was ihn an mich bindet. Da bin ich mir sicher.«
Josie nickte. »Schon gut, Süße. Beruhig dich. Niemand verliert irgendwen.« Ihre Stimme klang tröstend, aber ihr Blick war hart und entschlossen. »Wir werden deinem Mann nichts davon erzählen, ja? Weil es nichts zu erzählen gibt. Aber jetzt gehen wir zu Dr. Cobb. Wenn du willst, dass diese Krämpfe aufhören, müssen wir zu ihm. Wir beide schauen nur kurz rein, er untersucht dich und gibt dir irgendwas, und eine halbe Stunde später ist alles wieder in bester Ordnung. Na komm … bloß noch ein paar Schritte … komm weiter, Süße.«
Josie nahm wieder ihren Arm, und Jennie ging weiter und hoffte, ihre Freundin hätte recht. Dass Dr. Cobb tatsächlich etwas tun könnte, um die Blutung zu stoppen, aber dann bekam sie erneut einen Krampf.
»O Gott«, stöhnte sie. »Es hat keinen Zweck, Josie. Ich verliere das Kind.«
»Jetzt hör mir zu«, ermahnte Josie sie streng. »Ich regle das für dich, Jennie, keine Sorge. Ich kümmere mich um dich. Ich kümmere mich um alles.«
»Wie denn, Josie?«, schluchzte Jennie. »Wie denn? Das kannst du nicht! Das kann niemand!«
»Doch. Ich schon. Ich müsste doch total bescheuert sein, wenn ich mir von den Schuften, mit denen ich die ganze Zeit zusammen war, nicht den einen oder anderen Trick abgeschaut hätte.«
»Ich … ich verstehe nicht«, sagte Jennie.
»Das musst du auch nicht. Du musst dir bloß eines merken, wenn wir zu Dr. Cobb gehen, nur eine einzige Sache. Kannst du das für mich tun, Jennie? Kannst du das, Süße?«
»Ja«, antwortete Jennie. »Was denn?«
»Dass ich Jennie Finnegan heiße, und du Josie Meadows.«
38
H arriet, meine Liebe«, begrüßte Max sie, als er in ihre Praxis trat.
»Du meine Güte, Max. Ist es schon Mittag?«, fragte Harriet Hatcher und blickte von einer Patientenakte auf, die sie schnell zuklappte. Ihr Gesichtsausdruck wirkte besorgt. »Setz dich doch bitte. Nimm einfach die Sachen vom Stuhl.«
Max legte eine Ausgabe des Schlachtrufs und ein Banner mit der Aufschrift STIMMRECHT FÜR FRAUEN auf eine Anrichte. »Wie läuft die Kampagne?«, fragte er und setzte sich.
»Na ja, durchwachsen«, antwortete Harriet. »Du hast doch sicher von den Nachwahlen in Cumbria gehört. Labour hat einen Sitz gewonnen, der lange von den Liberalen gehalten wurde. Also gibt’s einen weiteren Abgeordneten, der unserer Sache wohlgesinnt ist, was natürlich großartig ist …«
»Aber?«
»Es gibt immer ein Aber, nicht wahr?«, antwortete Harriet sarkastisch. »In diesem Fall ist es der plötzliche
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