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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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sicher, dass er mich nicht erkennt. Bevor du auflegst, sagst du ihm, wann der Zug in Paddington ankommt, und bittest ihn, dich abzuholen. Das wird er machen. Ich sag Hallo und Wiedersehen und tu so, als würde ich den Zug nach Binsey zurücknehmen, stattdessen steig ich in den Zug nach Süden und nehme dann die Fähre nach Calais.«
    Josie schwieg eine Weile, um die Wirkung ihrer Worte abzuwarten, dann fügte sie hinzu: »Wenn dein Mann das Baby sieht, das er sich so sehr gewünscht hat, ist er glücklich und erinnert sich vielleicht wieder an seinen Treueschwur. Und dann hast du dein Kind und deinen Mann. Und ich verschwinde nach Paris, weit weg von Billy Madden, und weiß, dass mein Kind nicht in irgendeinem schrecklichen Waisenhaus aufwächst, sondern bei der Frau, die die beste Mutter auf der ganzen Welt sein wird.«
    »Glaubst du, das könnte wirklich funktionieren?«, fragte Jennie flüsternd.
    »Das glaube ich.«
    »Und wenn das Baby weder nach mir noch nach Seamie kommt?«
    »Wir sind beide blond, du und ich«, sagte Josie. »Und wir beide haben haselnussbraune Augen. Wenn das Baby also aussieht wie ich, gleicht es dir.«
    »Das ist wahnsinnig riskant. Es könnte so viel schiefgehen.«
    »Nein, Süße. Es könnte so viel gut gehen.«
    Josie blickte Jennie in die Augen, und zum ersten Mal, seit sie den Markt verlassen hatten, sah sie ein Fünkchen Hoffnung darin aufleuchten – schwach und zögerlich zwar, aber dennoch. »Also?«, fragte sie erwartungsvoll und drückte Jennies Hand.
    Jennie nickte und erwiderte den Händedruck.

   40   
    G ute Nacht, Mr Bristow. Gute Heimfahrt«, sagte Sir David Erskine, der Sergeant-at-Arms im Unterhaus, zu Joe.
    »Ihnen auch eine gute Nacht«, antwortete Joe, als er durch die St. Stephen’s Hall, zur Tür hinaus und in Richtung Cromwell Green rollte.
    Die Luft war weich und mild, und am Himmel funkelten Millionen Sterne. Es war eine herrliche Sommernacht, eine Nacht, in der sich jeder glücklich schätzte zu leben. Doch Joe bemerkte nichts davon. Er kam gerade wieder aus einer späten Sitzung im Unterhaus. Heute Morgen hatte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärt. Da man das Schlimmste – den unmittelbar bevorstehenden Kriegseintritt Deutschlands – befürchtete, hielt Großbritannien ständigen diplomatischen Kontakt mit seinen Verbündeten Frankreich und Russland und versuchte, einen Plan zur Eindämmung des Konflikts auszuarbeiten. Außerdem hatte der Premierminister Feldmarschall Horatio Kitchener – ein Soldat und Staatsmann, der sich bereits in mehreren großen Schlachten ausgezeichnet hatte – zum Kriegsminister berufen.
    Von ihm hatte Joe auch erfahren, dass er im Gegensatz zu vielen anderen nicht davon ausging, ein Krieg mit Deutschland könne schnell und siegreich enden. Im Gegenteil, er hatte die düstere und unpopuläre Prophezeiung gewagt, ein solcher Krieg würde mindestens drei Jahre dauern und enorme Opfer fordern – eine Prophezeiung, die Joe neuen Mut einflößte, gegen die Kriegstreiber im Unterhaus vorzugehen.
    Aber seine Argumente zeigten keinerlei Wirkung, wie Joe feststellte. Kitchener persönlich war nach Joes Rede im Parlament zu ihm in den Speisesaal des Unterhauses gekommen. »Sparen Sie sich die Mühe, alter Junge«, riet er ihm. »Es ist völlig nutzlos, was ich sage. Selbst auf den Herrgott würde niemand hören, wenn er die Geduld aufbrächte, sich ins Unterhaus zu setzen und Churchills endlose Redeflüsse über sich ergehen zu lassen. Sie werden ihren Krieg bekommen.«
    Und zwar schon bald, meinte Kitchener. Vielleicht schon im darauffolgenden Herbst.
    Ausgelaugt und entmutigt, fuhr Joe zu einer Reihe von Kutschen, die dort am Straßenrand warteten. Er wusste, Tom, sein Kutscher, wäre in der Nähe und würde Wasser für die Pferde holen oder sich mit anderen Kutschern unterhalten. Währenddessen entdeckte er ein Blumenmädchen, das Rosensträuße zu verkaufen versuchte. Es hatte wenig Glück.
    Joe hielt an, um es zu beobachten. Er sah Leute, die achtlos an ihm vorbeigingen, taub für seine flehentlichen Bitten und blind für die Löcher in seinen Schuhen und seine eingefallenen Wangen. Es brach ihm fast das Herz. Denn er wusste, dass zur gleichen Zeit, während dieses Kind – sie konnte kaum älter als zehn Jahre sein – durch die dunklen Straßen von London lief, um ein paar Shilling zu verdienen, Männer, die in großen Häusern und Palästen aufgewachsen waren und alle Privilegien genossen, die Macht und Reichtum boten,

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