Die Wildrose
sie in den Mund. »Verdammt, sind die gut.«
»Wenn du nicht aufhörst, haben wir nichts zum Tee«, erwiderte Jennie lachend. »Wir sind ja noch nicht mal aus dem Dorf hinaus. Warte doch, bis wir wieder im Cottage sind, bevor du weiterisst.«
Sie kamen gerade vom Dorfplatz, wo montags immer Markt war, und hatten frisch gepflückte Erdbeeren, einen Krug Sahne, Scones, ein großes Stück Cheddar- und Caerphilly-Käse, einen Laib Brot, geräucherte Forellen und ein Pfund Butter gekauft.
Jennie wusste, sie würde nur ein paar Bissen von dem Festmahl essen, weil sie sich inzwischen ständig übergeben musste. Josie dagegen würde sich darauf stürzen. Sie war nicht von Übelkeit geplagt und hatte fortwährend Hunger.
Jennie musterte Josie, während sie zum Cottage zurückkehrten. Josie war der Inbegriff der Gesundheit, mit ihren rosigen Wangen und strahlenden Augen. Und ihr Bauch wölbte sich bereits. Bei Jennie, die drei Wochen später niederkommen sollte, sah man noch nichts. Aber sie konnte es gar nicht erwarten, bis man es sah. Weil dann alles irgendwie realer wäre. Weil es ihr – und Seamie – beweisen würde, dass sich das Baby gesund entwickelte. Erst letzte Woche hatte sie Harriet Hatcher aufgesucht und sollte in ein paar Tagen wieder zu ihr kommen. Harriet sagte, sie habe den Herzschlag gehört, und alles schien soweit in Ordnung zu sein, dennoch erinnerte sie Jennie an die Schwierigkeit ihrer Schwangerschaft und warnte sie davor, sich allzu große Hoffnungen zu machen.
»Was machen wir heute?«, fragte Josie und schwang den Korb. »Blumen pflücken? Marmelade kochen? Genügend Beeren hätten wir ja. Ah, ich weiß es! Wir gehen zum Fluss und stecken die Zehen rein. Es ist schon furchtbar heiß, dabei ist’s erst neun Uhr morgens.«
»Zum Fluss … das ist eine tolle Idee«, antwortete Jennie. Es war heiß, viel zu heiß für Juni. Sie schwitzte stark. Ihr Gesicht war rot angelaufen. Im Fluss zu planschen wäre genau das Richtige, um sich abzukühlen. »Wir räumen bloß die Einkäufe weg, dann gehen wir.«
Jennie war gestern aus London gekommen. Ihr dritter Ausflug nach Binsey in zwei Monaten. Seamie hatte sie erneut vorgeschwindelt, sie brauche etwas Zeit für sich, um sich auszuruhen und zu entspannen. Er hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt und keine weiteren Fragen gestellt.
Aber warum auch? In ihrer Abwesenheit konnte er mehr Zeit mit Willa verbringen.
Jennie wusste nicht, wo und wann er sie traf, weil er abends immer zu Hause war, aber dass er sie traf, spürte sie.
Er war jetzt immer beschäftigt und verbrachte die meiste Zeit in seinem Arbeitszimmer. Und selbst wenn er im gleichen Raum mit ihr war, wirkte er meilenweit entfernt. Trotzdem ging er liebevoll mit ihr um, kümmerte sich um ihr Wohlergehen, sorgte sich um das Baby und achtete darauf, dass sie sich nicht überanstrengte. Aber er küsste sie nicht mehr so oft. Nicht so wie früher. Und nachts im Bett schaltete er das Licht aus, drehte sich auf die Seite und schlief gleich ein. Seit Wochen hatten sie sich nicht mehr geliebt. Sie hatte ein paarmal versucht, sein Interesse zu wecken, aber er hatte gemeint, sie sollten es lieber lassen. Er wolle dem Baby nicht wehtun.
Zuweilen stellte sie sich Seamie und Willa zusammen vor – sie konnte nicht anders. Vor ihrem geistigen Auge sah sie die beiden gemeinsam im Bett, sah, wie er sie küsste und streichelte, und bei der Vorstellung wurde ihr schlecht. Es gab Tage, da war sie so verzweifelt, dass sie sich schwor, sie würde ihn zur Rede stellen. Ihn fragen, ob sie zusammen gewesen seien, ob er sie immer noch liebte.
Aber was würde sie machen, wenn er sagte, ja, Jennie, so ist es?
Und so spielte sie ihm vor, nichts zu wissen. Und sich selbst spielte sie vor, dass es ihr nichts ausmachte. Nicht zählte. Und sie hoffte und betete, dass es eines Tages tatsächlich so wäre, weil Willa London irgendwann verlassen und wieder in den Himalaja zurückkehren würde. Und Seamie zu ihr. In ihr Heim. Ihr Leben. Ihr Bett.
»Wir könnten fischen gehen«, sagte Josie plötzlich, als sie an einem kleinen Laden mit Sportgeräten vorbeikamen. »In der Garderobe hab ich eine Angel gesehen.«
Jennie lachte, dankbar für Josies Gesellschaft, für ihre Fröhlichkeit und für die Ablenkung von ihren eigenen düsteren Gedanken.
»Ja, das könnten wir«, sagte sie. »Wenn eine von uns was vom Angeln verstünde.«
»Wir bräuchten doch nichts als ein paar Würmer«, erwiderte Josie. »Und Haken. Die könnten
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