Die Wildrose
und berührte sie am Arm.
Jennie richtete sich schnell auf und wischte sich die Augen ab. »Mr von Brandt … das … das ist aber eine Überraschung«, stammelte sie.
»Entschuldigen Sie, Mrs Finnegan, ich wollte Sie nicht stören. Ich hab’s zuerst im Pfarrhaus probiert, aber dort war niemand.« Er hielt einen Moment lang inne und fuhr dann zögernd fort: »Es tut mir leid, Sie so bekümmert zu sehen. Wenn ich mir die Frage erlauben darf, was bedrückt Sie denn so? Sagen Sie es mir. Vielleicht kann ich helfen?«
»Ach, nichts. Gar nichts, wirklich«, antwortete Jennie und rang sich ein Lächeln ab. »Es liegt an meinem Zustand, fürchte ich. Da neigt man leicht zu Stimmungsschwankungen und Tränen.«
Max blickte auf seinen Hut hinab, strich an der Krempe entlang und sagte: »Das glaube ich Ihnen nicht, Mrs Finnegan.« Dann blickte er wieder auf und fügte hinzu: »Ist es wegen Willa Alden?«
Jennie wurde blass. Sie sah aus, als müsste sie sich übergeben. »Willa?«, wiederholte sie, um Fassung bemüht. »Nein. Natürlich nicht. Warum fragen Sie das?«
Max setzte einen verlegenen Ausdruck auf. »Ach, nur so. Ich hab mich wahrscheinlich vertan. Bitte entschuldigen Sie.«
Aber Jennie ließ nicht locker. Genau wie er gehofft hatte, und schließlich gab er mit gespieltem Zögern zu: »Ich dachte, Sie wüssten es. Aber ich hätte nichts sagen sollen. Ich war mir bloß so sicher, dass dies der Grund ist, weshalb Sie weinen.«
»Mr von Brandt … bitte«, stieß Jennie mit gepresster Stimme hervor. Sie rückte etwas beiseite, und er setzte sich. »Was wissen Sie über Willa Alden?«
»Ich weiß, dass Willa und Ihr Mann eine Affäre haben«, sagte Max. Jennie schwieg. Es war sehr still in der Kirche. Max konnte Hufgetrappel durchs offene Fenster hören, das Klappern von Pferdegeschirr und einen Kutscher, der jemanden anschrie, aus dem Weg zu gehen. »Es tut mir leid«, fügte er hinzu.
Jennie nickte, ließ den Kopf sinken und brach erneut in Tränen aus. Max tätschelte ihre Hand. Er wartete, bis sie sich wieder beruhigt hatte, dann sagte er: »Ich bin mir sicher, dass ich Ihnen helfen kann.«
»Wie?«, fragte Jennie kläglich.
»Ich kenne Miss Alden. Ich könnte möglicherweise auf sie einwirken, Ihren Mann nicht mehr zu treffen.«
Jennie lachte bitter. »Aber wird mein Mann aufhören, sie zu treffen?«
»Ich werde sie überzeugen, London zu verlassen.«
»Das will sie vielleicht nicht.«
»Ich denke, doch.«
Er wusste, dass sie es tun würde. Er hatte Willas Bruder bei Jennies Hochzeit kennengelernt. Albie war immer noch in London. Max würde es einrichten, ihm scheinbar zufällig über den Weg zu laufen, und dabei die Bemerkung fallen lassen, dass er seiner Schwester und seinem Freund Seamus im Coburg begegnet sei.
Jennie sah Max mit gepeinigtem Blick an. »Wenn Sie das tun würden, Mr von Brandt, wenn Sie Willa dazu bringen könnten, London zu verlassen, stünde ich für immer in Ihrer Schuld.« Sie wischte sich erneut die Augen ab und fügte dann, ganz so, als erinnerte sie sich wieder an ihre Manieren, hinzu: »Aber Sie sind heute doch sicher nicht hergekommen, um über meine Eheprobleme zu diskutieren.«
Max lächelte. »Nein. Ich bin hergekommen, um Sie um Ihre Hilfe zu bitten.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich Ihnen helfen könnte, Mr von Brandt«, erwiderte Jennie überrascht.
»Es ist ganz einfach. Ich brauche Sie, um einige Informationen weiterzugeben. Äußerst wichtige Informationen. Wenn Sie sich entscheiden, mir zu helfen, gibt Ihnen Gladys Bigelow alle vierzehn Tage einen Umschlag mit Dokumenten. Und zwar bei den Treffen der Frauenrechtlerinnen. Die würden Sie dann immer mittwochs nach den Versammlungen in die Kirche bringen und nach unten in den Keller schaffen. Dort ist eine Statue des St. Nicholas. Sie ist zerbrochen. Sie müssten nichts weiter tun, als den Umschlag in den Kopf der Statue zu stecken.«
Jennies Gesichtsausdruck ging von Überraschung in Ärger über. »Sie halten mich wohl für einen kompletten Dummkopf, Mr von Brandt«, sagte sie.
»Ganz und gar nicht.«
»Ich weiß, wo Gladys arbeitet«, sagte Jennie. »Und für wen. Was wird in diesen Umschlägen sein? Geheime Informationen? Für Ihre Regierung?«
Max hatte diese Frage erwartet und sich darauf vorbereitet.
»Fälschungen werden in diesen Umschlägen sein, Mrs Finnegan. Falsche Reisepapiere, falsche Geschichten. Falsche Arbeitsverträge. Falsche Lebensläufe. Sie sollen an Dissidenten in
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