Die Wildrose
etwa einer halben Stunde die Royal Geographical Society verlassen, schätze ich. Ich frage Sie noch einmal, Mrs Finnegan, werden Sie mir helfen? Oder soll ich ihm erzählen, was in Binsey tatsächlich vor sich geht?«
Jennie blickte zum Altar auf die Statue des Gekreuzigten, dann auf ihre Hand mit dem Ehering.
»Ich werde Ihnen helfen«, antwortete sie. »Möge Gott mir beistehen.«
»Danke, Mrs Finnegan. Bezüglich der anderen Sache, die wir besprochen haben, werde ich tun, was ich kann. Sofort. Guten Tag.«
»Guten Tag, Mr von Brandt«, antwortete Jennie steif.
Sobald Max die Kirche verlassen hatte, ging er schnell in Richtung Westen zu den Katharine-Docks, um eine Droschke zu nehmen, weil er sich in Wapping nicht sehen lassen durfte, und dachte über Sarajevo nach. Über die Entschlossenheit des Kaisers, einen Krieg anzufangen. Über die Bewaffnung auf beiden Seiten. Der Krieg würde kommen, dessen war er sich sicher. Er wusste, was Krieg bedeutete, und wünschte sich eine schnelle Entscheidungsschlacht mit möglichst wenig Opfern.
Er dachte an all die jungen deutschen Männer, die bereitwillig in den Kampf ziehen wollten, und an all die jungen Männer in England, Frankreich, Russland und Österreich, die bereit waren, das Gleiche zu tun. Sie hatten keine Ahnung, was ihnen bevorstand. Das hatten junge Männer nie. Sie hielten das Ganze für ein großes Abenteuer. Und das machte es für die alten Männer umso leichter, sie auf die Schlachtbank zu führen.
Als Max schließlich eine Droschke fand, fühlte er sich gut – besser als seit vielen Wochen. Endlich war es ihm gelungen, die Kurierkette nach Berlin wiederherzustellen, wenn auch im allerletzten Moment. Berlin wurde unruhig. Man misstraute ihm bereits, und das war nicht gut.
Gott sei Dank, dass es gute Menschen gab, dachte Max erneut, als er in die Droschke stieg. Gute Menschen waren liebevoll, freundlich und nachsichtig. Sie hatten die besten Absichten. Wie Jennie Finnegan. Sie wollte bloß ihre Ehe retten und ihrem Mann ein Kind schenken, damit er sie liebte. Max schloss die Augen. Er lehnte sich zurück und seufzte. Wie seltsam, dachte er, dass es immer die besten und nicht die schlechtesten Absichten waren, die die Leute ins Verderben führten.
42
M adam, ich glaube …«
Mr Foster konnte seinen Satz nicht beenden, denn Fiona war bereits aufgesprungen und aus dem Salon in die Diele gerannt.
Die Haustür stand offen. Der Fahrer und der Hilfsbutler trugen Gepäckstücke herein. Miss Simon, die Gouvernante, sperrte die aufgeregten Kinder weg. Inmitten des Durcheinanders stand eine erschöpft wirkende blonde Frau, die einen kleinen Jungen an der Hand und ein Baby auf dem Arm hielt. Ein zartes, blondes Mädchen mit großen grauen Augen stand neben ihr.
Wortlos lief Fiona auf sie zu. Sie legte einen Arm um die Frau, mit dem anderen zog sie das Mädchen und den kleinen Jungen an sich. Die blonde Frau erwiderte ihre Umarmung. Fiona spürte ihren stoßweisen Atem und wusste, wie sehr sie sich bemühte, nicht zu weinen. Aber ihr selbst liefen die Tränen übers Gesicht.
»Ach, India«, sagte sie und ließ sie los. »Ich bin so froh, dich zu sehen. Gott sei Dank, dass ihr alle gut angekommen seid.«
India Baxter nickte. Sie wollte etwas sagen, brach aber in Tränen aus. »Es tut mir so leid, Fiona. Ich habe mir geschworen, nicht mehr um Maud zu weinen. Wenigstens nicht vor den Kindern.«
Indias kleiner Sohn klammerte sich an seine Mutter, sah, dass sie weinte, und begann prompt, ebenfalls zu heulen. Das müde, schwitzende Baby tat es ihm gleich.
»Wahrscheinlich ist sie nass«, erklärte India müde. »Und hungrig. »Ich leg sie schnell trocken und dann …«
»Nein, India, du setzt dich erst einmal. Miss Simon, wo ist Pillowy?«, fragte Fiona.
»Bin schon da, Madam!«, dröhnte eine laute Stimme.
Es war die Kinderschwester. Ihr richtiger Name lautete Mrs Pillower, aber Katie hatte sie als kleines Kind Pillowy getauft, weil sie sie an ein großes, weiches Kissen erinnerte.
»Ich hab gerade zwei Bäder eingelassen – eines für Miss Charlotte und eines für die Kleinen von Mrs Baxter«, sagte sie. »Ich bade sie, ziehe ihnen frische Sachen an, und dann gehen wir in die Küche, wo es was zu essen gibt.«
»Komm, Charlotte«, sagte Katie und nahm ihre Cousine an der Hand. Die beiden Mädchen waren ungefähr im gleichen Alter. »Du schläfst in meinem Zimmer. Ich zeige dir, wo es ist, dann kannst du dein Bad nehmen.«
Charlotte folgte
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