Die Wildrose
Wahrheit kennt.«
»Was ist die Wahrheit? Sag’s mir.«
»Die Wahrheit ist, dass sie mir sehr viel bedeutet hat. Und wenn die Situation anders gewesen wäre, wenn ich keine Familienverpflichtungen hätte, hätte ich nie Schluss gemacht. Ich hätte sie geheiratet.«
Margot war vom Eingeständnis seiner Liebe so tief berührt gewesen, dass sie ihn seitdem ins Herz geschlossen hatte. Sie rief ihn ständig an, lud ihn zu allen möglichen Soireen ein und sorgte dafür, dass er nicht allein war. Jedes Wochenende und viele Abende während der Woche verbrachte er in den Häusern von Politikern, hohen Militärs und Ministern. Worüber sich Berlin sehr erfreut zeigte.
Die Tränen eines Mannes waren ein mächtiges Lockmittel für eine Frau, wie er wusste. Frauen konnten ihnen nicht widerstehen. Zeig einer Frau, dass du weinst, und sie glaubt, du gehörst ihr. Tatsächlich aber war es umgekehrt – sie gehörte dir, mit Haut und Haaren.
Die Abenddämmerung brach herein, als Max das Coburg verließ. Er wartete geduldig, während der Portier eine Droschke für ihn rief, und beobachtete mit Interesse, wie zwei weitere Angestellte den Union Jack einholten, der immer über dem Hotel flatterte.
Während die beiden sorgfältig und voller Respekt die Flagge zusammenfalteten, fragte er sich, ob sie auch in Zukunft über dem Coburg wehen würde. Und über dem Parlamentsgebäude. Und dem Buckingham-Palast. Und er fragte sich, ob eines Tages die kaiserlichen Truppen tatsächlich über die Pall Mall marschieren würden. Was Schlagkraft und Größe anging, konnte es im Moment niemand mit der kaiserlichen Armee und Marine aufnehmen. Der Kaiser hatte verkündet, dass er in ein oder zwei Wochen in Paris und kurz darauf in London sein könne. Max war nicht ganz so optimistisch.
Doch der Krieg würde bald beginnen – im Laufe weniger Tage, laut seinen Quellen –, ein Krieg, der sich über ganz Europa, wenn nicht die ganze Welt ausdehnen würde. Sarajevo war nur ein willkommener Anlass gewesen. Wenn das Attentat nicht passiert wäre, hätte der Kaiser einen anderen Grund gefunden.
Die Droschke fuhr vor. Max stieg ein und nannte dem Fahrer die Adresse. Dann lehnte er sich zurück und öffnete das Fenster. Er wollte die Luft schnuppern. Es war eine warme und auf eine fragile und flüchtige Weise schöne Nacht, wie es nur englische Sommernächte sein konnten.
Heute war schon der erste August, dachte Max. Der Sommer würde bald vorbei sein. Für lange Zeit.
Als die Kutsche am Hyde Park vorbeifuhr, an den prächtigen Bäumen, den üppig blühenden Blumen und den jungen Paaren, die ihren Abendspaziergang genossen, zog sich sein Herz zusammen. Plötzlich war er froh, dass Willa London verlassen hatte. Er hoffte, sie kletterte auf den Gipfel des Everest und blieb dort oben, weit entfernt von allem, was hier unten passieren würde. Er war auch froh, dass es für ihn im Moment niemanden gab – weder Frau noch Kind, dem seine Liebe galt.
Denn die Welt würde sich verändern. Plötzlich, gewaltsam und für immer.
Und die Liebe würde keinen Platz mehr darin finden.
47
F iona legte bei der Geburtstagstorte für ihre Schwiegermutter letzte Hand an, warf einen Blick aus dem Wohnzimmerfenster ihres Anwesens in Greenwich und seufzte.
»Katie, Liebes«, sagte sie, »kannst du deine Brüder vom Baum runterholen? Und deiner kleinen Schwester sagen, aus meinem Ankleidezimmer zu verschwinden? Ich weiß, dass sie dort ist und alles mit Parfüm vollsprüht. Ich kann es riechen. Das ganze Haus stinkt schon danach. Die Torte hier wird wie Narcisse Noir schmecken.«
Katie legte den Arm um ihre Mutter und küsste sie auf die Wange. »Beruhige dich, Mum. Alles ist bestens. Nirgendwo stinkt es, und Großmutter hat keine Eile mit ihrem Kuchen. Sie hat gerade erst zu Abend gegessen und vergnügt sich prächtig im Moment. Tante India hat ihr Elizabeth zu halten gegeben, und du weißt doch, dass sie nichts glücklicher macht, als ein Baby auf dem Schoß zu haben.«
»Und dein Großvater? Geht’s ihm gut?«, fragte Fiona besorgt.
»Er hat noch mehr Spaß als alle anderen. Wer, glaubst du, hat denn gewettet, die Zwillinge könnten nicht auf den Baum klettern?«, fragte Katie lachend. »Mach dir doch nicht so viele Sorgen, Mum. Komm mit raus und genieß die Party.«
Fiona lächelte. »Also gut«, antwortete sie und ging durch die großen Fenstertüren in den herrlichen Sommerabend hinaus.
Ihr Lächeln vertiefte sich, und ihre blauen Augen strahlten
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