Die Wildrose
Alliierten würde der Krieg bald zu Ende gehen. Das musste er. Bevor keine Männer mehr übrig waren, um ihn zu führen.
Der König hatte unterschrieben und hob die Feder. Es gab Applaus – höflichen Beifall von einigen, etwas heftigeren von anderen wie Fiona –, dann wurden Fotos gemacht und Tee, Gebäck und Champagner gereicht.
Joe wurde von einem anderen Parlamentarier in ein Gespräch verwickelt. Katie eilte los, um Lloyd George, den neuen Premierminister, um eine Stellungnahme zu bitten. Millicent und Sylvia gaben Interviews, und Fiona, von ihren Gefühlen überwältigt, zog sich kurz in eine Ecke zurück, um sich zu sammeln.
Sie nahm ihr Taschentuch heraus, tupfte die Augen ab und schnäuzte sich diskret, dann ging sie zu einem Fenster und starrte in den Februartag hinaus, bis sie glaubte, wieder Konversation machen zu können, ohne in Tränen auszubrechen. Gerade als sie sich umdrehen und sich der Gesellschaft des Königs wieder zuwenden wollte, spürte sie einen Arm um ihre Schulter. Es war Katie.
»Mum, alles in Ordnung mit dir?«, fragte sie.
»Ja, meine Süße.«
»Warum bist du dann nicht bei den anderen? Du solltest mit dem König und Mr Lloyd George anstoßen, statt schmollend in der Ecke zu stehen.«
Fiona lächelte. »Du hast vollkommen recht. Das werde ich. Ich hab mich bloß ein bisschen müde gefühlt, das ist alles. Wie es einem eben geht am Ende einer großen Sache.«
Katie hielt Fiona an beiden Schultern fest und sagte sichtlich erregt: »Aber Mum, das ist doch kein Ende. Ganz und gar nicht.«
»Nein?«, fragte Fiona und sah in das strahlende, hübsche Gesicht ihrer Tochter.
»Nein. Ich habe mich entschieden, für die Labour-Partei zu kandidieren. Ich kann’s gar nicht erwarten, bis ich dreißig bin und in meiner eigenen Regierung sitze. Mr Lloyd George hat vielleicht deshalb das Wahlalter so hoch angesetzt, weil er uns Frauen im Moment nicht zu viel Einfluss in der Regierung geben will. Aber für Abgeordnete hat er es niedriger angesetzt. Ich kann zwar noch elf Jahre lang nicht wählen, aber ich kann kandidieren, sobald ich einundzwanzig bin – also schon in zwei Jahren. Und das werde ich auch. Sobald ich mit der Universität fertig bin, beginne ich mit der Planung meiner Kampagne.«
»Ach, Katie«, sagte Fiona mit feuchten Augen. »Das ist eine ganz wundervolle Neuigkeit. Ich bin so aufgeregt. Und so stolz.«
»Danke, Mum. Das habe ich gehofft. Oh, schau! Der König spricht gerade mit niemandem. Ich bin gleich wieder zurück.«
»Der König? Katie, du wirst doch nicht …« Aber es war schon zu spät. Katie ging zum Monarchen hinüber.
Fiona spürte, wie jemand ihre Hand drückte. Es war Joe. »Sieht aus, als wollte sie den alten König George in ein Gespräch verwickeln«, sagte er.
»Du denkst doch nicht, dass sie ihm die neueste Ausgabe des Schlachtrufs andreht?«, fragte Fiona. »Da sind Artikel von Ben Tillet, Ellen Rosen, Annie Besant und Millicent Fawcett drin. Von jedem Londoner Hitzkopf. Der kriegt einen Herzanfall.«
»Sie verhilft ihm bereits zu einem«, antwortete Joe, »und daran ist nicht ihre Zeitung schuld.«
Fiona lachte. Der König sah Katie an und winkte sie zu sich. Natürlich reagierte er so, dachte Fiona. Katie hatte diese Wirkung auf Männer. Mit ihrem schwarzen Haar, den blauen Augen und der schlanken Figur war sie eine Schönheit.
»Dann hast du gehört, was sie vorhat?«, fragte Joe.
»Ja, das habe ich. Du hast nicht zufällig etwas damit zu tun?«, fragte Fiona.
Joe schüttelte den Kopf. »Katie fällt ihre eigenen Entscheidungen. Sie hat ihren eigenen Kopf, wie du weißt.«
»Ja, das weiß ich.«
Joe lächelte verschmitzt. »Ich gebe allerdings zu, es freut mich, dass sie ins Familiengeschäft einsteigen will.«
»Politik ist das Familiengeschäft?«, fragte Fiona verwundert. »Früher waren es Karren und Docks. Wer hätte das gedacht, Joe? Als wir noch Kinder waren, meine ich. Wer hätte sich das träumen lassen?«
Katie knickste vor dem König, dann richtete sie sich auf, straffte die Schultern und begann zu reden. Joe und Fiona konnten nicht hören, was sie sagte, sahen aber, wie der König nickte und sich lauschend zu ihr beugte.
»Armer Kerl«, sagte Joe. »Er hat keine Ahnung, worauf er sich eingelassen hat.«
Fiona schüttelte den Kopf. »Weißt du, vorhin dachte ich noch, es sei zu Ende. Ich dachte, der Kampf – zumindest einer – sei ausgestanden. Ich dachte …«
Joe wollte gerade antworten, aber seine Worte erstarben,
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