Die Wildrose
Mörder ihres Vaters, seiner gerechten Strafe zuzuführen.
Sie kämpfte auch um ihr eigenes Leben, nachdem William Burton gedroht hatte, sie zu töten, und diese Drohung in die Tat umzusetzen versuchte. Sie kämpfte um das Leben ihres Bruders Sid, als er fälschlich des Mordes an Gemma Dean, einer Ostlondoner Schauspielerin, angeklagt wurde. Sie kämpfte um Joes Leben, nachdem er beinahe einem Mordanschlag des Verbrechers Frankie Betts zum Opfer gefallen wäre.
Und sie setzte ihren Kampf fort, gemeinsam mit Joe. Sie hatten zwei Hospitäler gegründet – eines in Frankreich und eines in Oxfordshire auf Wickersham Hall, Mauds altem, weitläufigem Gutsbesitz, der jetzt India gehörte –, um dort verwundete britische Soldaten zu behandeln, und sie kämpften ständig um Spenden.
Auch Katie, inzwischen neunzehn, kämpfte. Sie studierte am Magdalene College Geschichte, wollte im kommenden Frühjahr ihren Abschluss machen und gleich danach den Elfenbeinturm Oxford gegen die wimmelnden Straßen von Whitechapel eintauschen. Sie plante, eine richtige Redaktion und Druckerei einzurichten für den Schlachtruf, die Labour-Zeitung, die sie vor vier Jahren gegründet hatte. Inzwischen hatte sie eine Auflage von zweitausend Exemplaren, die weiter anstieg. Obwohl sie ihr Studium noch nicht abgeschlossen hatte, gaben ihr führende Politiker routinemäßig Interviews, weil sie ihre Politik und Argumente der jungen Leserschaft dieses Blattes nahebringen wollten. Sie war mehrmals bei Wahlrechtsdemonstrationen verhaftet worden, hatte Prügel dafür einstecken müssen, und sogar das Fenster ihres Zimmers im College war von den Handlangern eines Fabrikbesitzers eingeworfen worden, dessen ausbeuterische Praktiken sie angeprangert hatte. Katie ließ sich jedoch nicht einschüchtern und tat diese Schäden als Begleiterscheinungen der Wirren in Politik und Journalismus ab.
Und dann gab es noch Charlie, Fionas ältesten Sohn. Er kämpfte inzwischen jeden Tag seines Lebens – an den Fronten in Frankreich. Vor zwei Jahren, im Alter von fünfzehn, hatte er sich zu den Waffen gemeldet. Seinen Eltern hatte er vorgetäuscht, mit ein paar Freunden auf einen Campingausflug zu fahren, sich aber stattdessen bei einem Rekrutierungsbüro gemeldet. Er hatte gelogen, was sein Alter betraf, war der Armee beigetreten und drei Tage später an die Somme geschickt worden. Fiona und Joe fanden dies durch eine Postkarte heraus, die er aus Dover geschickt hatte. Aber da war es schon zu spät. Er war bereits fort. Fiona wollte, dass er gefunden und zurückgebracht wurde, aber Joe meinte, das sei sinnlos. Selbst wenn man ihn fände und zurückbrächte, würde er bei der nächsten Gelegenheit wieder entwischen. Sie machte sich jetzt unablässig Sorgen um ihn und erschrak bei jedem unerwarteten Klopfen an der Tür, bei jedem Telegramm und jedem offiziell wirkenden Umschlag, der mit der Post eintraf.
Dreieinhalb Jahre waren nun vergangen seit jenem August 1914. Die fröhlich ausgelassene Stimmung, mit der die Kriegserklärung begrüßt wurde, schlug schnell ins Gegenteil um, als die ersten Nachrichten von schweren Kämpfen in Belgien und der tapferen Niederlage des Landes kamen. Diejenigen, die behauptet hatten, es gäbe ein paar kurze Entscheidungsschlachten, und danach würden die Deutschen geschlagen nach Hause humpeln, hatten sich schwer getäuscht. Die Deutschen waren durch Belgien nach Frankreich vorgestoßen, und das damit verbundene Gemetzel war unaussprechlich. Millionen, Soldaten und Zivilisten gleichermaßen, wurden getötet. Menschen, Städte, ganze Länder wurden ausgelöscht. Jeden Tag hoffte Fiona, es würde zu Ende gehen und ein entscheidender Sieg das Schicksal zugunsten der Alliierten wenden. Aber die Tage vergingen, ohne dass eine solche Nachricht eintraf.
Manchmal kam es ihr vor, als fände das Kämpfen nie ein Ende. Sie und Joe hatten es so weit gebracht im Leben und immer versucht, auch anderen Gutes zu tun – durch ihr karitatives Engagement, durch die Schulen im East End, die sie beide finanzierten, durch ihren Einsatz fürs Frauenstimmrecht. Und heute, einen kurzen, glänzenden Moment lang, schien es, als hätte sie endlich einen Kampf gewonnen – gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen. Dieses eine Mal hatten sie gewonnen. Die Gewissheit des Sieges im Heimatland gab ihr die Hoffnung, er könne auch im Ausland errungen werden. Amerika war inzwischen in den Krieg eingetreten. Mit seinen Soldaten, seinem Geld und seiner Macht aufseiten der
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