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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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der Bericht des Geheimdienstes hat besagt …«
    Seamie wusste, welchen Bericht Walker meinte. Der englische Geheimdienst hatte Informationen erhalten, Deutschland habe die Anzahl der U-Boote im Mittelmeer erhöht, um die Schiffe der Alliierten zu vernichten und damit den Zugriff Großbritanniens auf die wichtigen Festungen von Port Said, Kairo, Jaffa und Haifa zu erschweren.
    »Berichte sind nur Berichte«, erwiderte er. »Vielleicht wurden sie gestreut, um uns nahe an der Küste zu halten. Möglicherweise sind sie vollkommen falsch.«
    »Sie könnten aber auch absolut richtig sein«, widersprach Walker.
    Seamie schenkte dem Mann einen eisigen, vernichtenden Blick. »Kalte Füße, Mr Walker? Vielleicht sollten wir hierbleiben und Ihnen ein Paar warme Socken stricken, um sie zu wärmen.«
    Walker wurde rot. »Nein, Sir. Natürlich nicht. Ich …«
    Aber Seamie hatte sich bereits abgewandt.
    »Volle Kraft voraus«, befahl er.

   50   
    F iona, in ein elegantes, cremefarbenes Seidenkostüm gekleidet, stand in einem reich geschmückten Raum des Buckingham-Palastes und hielt den Atem an, als Großbritanniens Souverän, König Georg V ., seine Schreibfeder zückte.
    Ein paar Sekunden lang überkam sie ein schwindelerregendes Gefühl, ob dies alles real war. Ein paar Sekunden lang konnte sie einfach nicht glauben, dass all dies tatsächlich passierte, dass sie mit Joe und Katie, dem Premierminister, Millicent Fawcett, Sylvia Pankhurst und anderen Führerinnen der Frauenrechtsbewegung hier stand und zusah, wie der König seine Zustimmung zum People Act von 1918, zum Vierten Reformgesetz, gab.
    Joe, der neben ihr im Rollstuhl saß, nahm ihre Hand. Katie auf ihrer anderen Seite fragte flüsternd: »Alles in Ordnung, Mum?«
    Sie nickte mit Tränen in den Augen. Sie hatte dafür gekämpft, sogar im Holloway-Gefängnis gesessen deswegen, und jetzt stand sie hier und sah zu, wie der König ein Gesetz unterzeichnete, das einem großen Teil der britischen Frauen das Wahlrecht gewährte.
    Den Text des Gesetzes hatte sie viele Male gelesen und konnte ihn praktisch auswendig. Er verfügte, dass Frauen über dreißig, verheiratet oder unverheiratet, die bestimmten Besitzanforderungen genügten, an Parlamentswahlen teilnehmen durften. Ein weiteres Gesetz verfügte, dass Frauen über einundzwanzig sich fürs Parlament wählen lassen konnten.
    Fiona wusste, das Gesetz war zustande gekommen, weil Millicent Fawcett und ihre Gruppe – zu der Fiona gehörte – während des ganzen Krieges nicht nachgelassen hatten, von der Regierung das Frauenwahlrecht zu fordern, und andererseits die Pankhursts und ihre Gruppierung ihre gewalttätigen Proteste eingestellt und die Kriegsanstrengungen unterstützt hatten. Gleichzeitig waren die jungen Frauen Britanniens mit gutem Beispiel vorangegangen und hatten die Stellen der Männer nach deren Einberufung übernommen – vor allem in Munitionsfabriken.
    Fiona wusste, dass sich die Frauen Großbritanniens diesen Tag hart erarbeitet hatten, und dennoch konnte sie es kaum begreifen. Es war ein stolzer, ein historischer Tag, und als der König sich über das Dokument beugte, hatte sie das Gefühl, ein Traum sei wahr geworden – dass sie im Alter von siebenundvierzig Jahren endlich das Wahlrecht erhielt und ihre Töchter es ebenfalls erhalten würden. Das Gesetz war noch mangelhaft, das war ihr klar – die Altersbeschränkung der Wahlberechtigten müsste noch geändert werden –, aber es war ein Anfang und ein glorioser Sieg nach dem langen und bitteren Kampf.
    Während sie beobachtete, wie der König seine Unterschrift unter das Dokument setzte, rasten tausend Erinnerungen durch ihren Kopf. Einen Moment lang war sie keine Ehefrau und Mutter, keine erfolgreiche Teehändlerin, sondern ein siebzehnjähriges Mädchen, eine arme Teepackerin in Whitechapel, die versuchte, über die Runden zu kommen. Eine junge Frau, die sich nach dem Mord an ihrem Vater und ihrer Mutter auf der Flucht befand und ums Überleben kämpfte.
    Sie erinnerte sich an ihre frühen Kämpfe – um sich und Seamie aus London herauszubringen, nach Amerika zu entkommen und dort ein Geschäft aufzubauen. Sie erinnerte sich, wie hart es war, ihren ersten Laden zu eröffnen – ein Geschäft, das sie gemeinsam mit ihrem Onkel Michael, dem Bruder ihres Vaters, betrieb und das ein Erfolg wurde. Sie erinnerte sich, wie sie um die Gesundheit und das Leben ihres ersten Mannes, Nicholas Soames, gekämpft hatte. Und darum, William Burton, den

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