Die Wildrose
Sekretärin.«
Fahed riss die Augen auf. Stirnrunzelnd sah er Willa von oben bis unten an. Willa hatte zwar nie einen Brief für Lawrence getippt, aber in der Kultur der Beduinen, wo Frauen vom öffentlichen Leben ausgeschlossen waren, war dies die akzeptabelste Erklärung für ihre Anwesenheit an seiner Seite und bot vielleicht die Möglichkeit, im Zelt des Scheiks Einlass zu bekommen, statt in die Frauenquartiere verbannt zu werden. Willa scherte sich einen Dreck darum, was der Scheik von ihr dachte. Sie interessierte bloß, Fotos von diesen bemerkenswerten Menschen, ihren Wohnzelten, ihrem Land, ihren Tieren und ihrem Alltag zu machen.
Fahed runzelte noch mehr die Stirn und sagte dann: »Ich werde diese Nachricht dem Scheik überbringen«, ohne weitere Versprechungen abzugeben. Er zeigte ihnen, wo sie ihre Kamele tränken und ausruhen lassen konnten, und ließ ihnen Wasser bringen, dann eilte er zum größten Zelt des Lagers zurück.
Eine halbe Stunde später kam er wieder. »Scheik Khalaf al Mor lässt euch ausrichten, dass er euch heute Abend in seinem Zelt empfängt.«
Lawrence verbeugte sich. »Bitte sag dem Scheik, dass dies eine große Ehre für uns ist.«
Fahed führte daraufhin Lawrence und Auda zu einem Zelt, wo sie sich waschen konnten, Willa zu einem anderen. Frische Kleider wurden angelegt. Es hätte sich nicht gehört, in staubiger Kleidung vor dem Scheik zu erscheinen. Willa war dankbar für das Bad. Es war erst April, aber die Tage waren schon heiß, und sie fühlte sich nach dem langen Ritt durch die Wüste schmutzig und verschwitzt. Während sie auf den Abend und die Einladung des Scheiks warteten, besprachen Lawrence und Auda, wie sie Khalaf al Mor am besten für ihre Sache gewinnen könnten, und Willa machte Fotos von den Frauen und Kindern des Stammes. Die Frauen verhielten sich scheu, aber die Kinder zeigten sich genauso neugierig auf Willa wie umgekehrt. Sie schoben ihre Ärmel hoch, um ihre Haut zu sehen, und zogen ihren Turban ab, um ihr Haar zu berühren. Sie betasteten ihr künstliches Bein und wollten dann sehen, wie es an ihrem Körper befestigt war. Sie nahmen ihr Gesicht zwischen die Hände, damit sie ihre grünen Augen besser betrachten konnten. Während sie sie berührten und inspizierten, lachte Willa und fragte sich, warum diese Wüstenkinder so anders waren als englische Kinder – allerdings, mit ihrem schüchternen Kichern, ihrer Neugier und dem verschmitzten Lächeln waren sie doch gar nicht so verschieden.
Willa fragte sie in ihrer Sprache, ob eines von ihnen von Khalaf al Mor sei. Sie verfielen in Schweigen und sahen sich an. Daraufhin wollte sie wissen, was los sei, ob sie sie beleidigt habe. Ein Junge von etwa zehn Jahren, Ali, erwiderte mit gedämpfter Stimme, die Kinder des Scheiks und ihre Mütter seien alle im Zelt der ersten Frau. Ihr ältestes Kind – der erstgeborene Sohn des Scheiks – sei sehr krank, und man erwarte nicht, dass er durchkomme. Die ganze Familie des Scheiks bete für ihn, flehe Allah an, sein Leben zu verschonen.
Willa war sehr besorgt, als sie dies hörte – um das Kind in erster Linie, aber auch wegen der Pläne von Lawrence. Wie konnte Khalaf al Mor ihnen Aufmerksamkeit schenken, geschweige denn ihnen mit Rat und Tat beistehen, wenn sein Kind im Sterben lag?
Bei Sonnenuntergang holte Fahed sie ab. Willa hatte Lawrence und Auda von der Krankheit des Kindes erzählt, was beide sehr besorgt machte. Dennoch gingen sie zu dritt mit Geschenken los – mit perlenverzierten Revolvern, Dolchen in kunstvoll gearbeiteten Scheiden, Kompassen in Messinggehäusen, wunderschönen Hundehalsbändern und Hauben mit goldenen Glöckchen für Jagdvögel –, denn Khalaf hielt Windhunde und Falken.
Man begrüßte und verbeugte sich, die Geschenke wurden dargeboten und freudig angenommen. Khalaf war einnehmend und charmant und ließ sich nicht anmerken, dass ihn etwas bedrückte, aber Willa erkannte die tiefe Besorgnis in seinen Augen. Sie wusste, dass der Stolz der Beduinen es nicht zuließ, seine persönlichen Nöte mit Fremden zu teilen.
Stattdessen äußerte er auf joviale Weise sein Interesse an Willas Gegenwart. »Ist dein Scheik Lawrence so arm, dass er sich keinen richtigen Sekretär leisten kann?«, fragte er scherzend. »Und sich mit einer Frau zufriedengeben muss?«
»Ah, Sidi ! Mein Scheik ist sehr schlau, weil er mir nur die Hälfte von dem zahlt, was er einem Mann zahlen müsste, aber dafür die doppelte Leistung bekommt … und zehnmal so
Weitere Kostenlose Bücher