Die Wildrose
entschieden, die notwendigen Untersuchungen vom dortigen Arzt, Dr. Cobb, vornehmen zu lassen. Harriet verstand dies und bat sie, zu ihr zurückzukommen, wenn das Baby geboren sei. Was Jennie nie tat und nie tun würde.
Die ganze Sache wäre viel schwieriger gewesen, wenn Seamie zu der Zeit in London gewesen wäre. Er hätte bemerkt, dass sich ihr Körper während der Schwangerschaft nicht veränderte und sie keine Milch in den Brüsten hatte, und vermutlich hätte er wissen wollen, warum. Allen Frauen in ihrer Umgebung, die fragten, ob sie James stille, erzählte sie, sie hätte zu wenig Milch und habe sich daher entschieden, ihn mit der Flasche aufzuziehen. Seamie hätte vielleicht auch nach Binsey fahren und Dr. Cobb für seinen Beistand danken wollen, aber er war Hunderte von Meilen entfernt auf einem britischen Kriegsschiff gewesen, als James zur Welt kam.
Jennie ließ ein Foto von dem Baby anfertigen und legte es einem Brief an Seamie bei, in dem sie ihm mitteilte, dass er Vater eines kräftigen Sohnes geworden sei. Sie hoffe, es sei ihm recht, wenn sie den Jungen nach ihm, James, genannt habe. Als er fast ein Jahr später Heimaturlaub bekam, hatte er sich sofort in das Kind verliebt, und Jennie musste ihm versprechen, ihm jeden Monat ein Foto von James zu schicken.
Und so hatte Josies verrückter Plan erstaunlicherweise funktioniert. Josie war sicher aus London weggekommen und arbeitete in Paris unter einem Künstlernamen als Tänzerin. Ihr Kind war sicher in Jennies Obhut. Und keiner vermutete etwas Böses.
Jennie hätte glücklich sein sollen. Sie hatte das Kind, das sie sich so verzweifelt gewünscht hatte. James war ihr Stolz und ihre Freude, ihr schöner, goldiger Junge. Und sie liebte ihn abgöttisch. Sie hatte einen stattlichen Ehemann, einen Kriegshelden, und sie wurde von Familie und Freunden geliebt.
Aber sie war nicht glücklich. Sie fühlte sich gequält und elend, denn ihr Glück war auf Lügen aufgebaut. Sie hatte Seamie angelogen, was ihre Fähigkeit anging, Kinder zu bekommen. Sie hatte ihm nichts von ihrer Fehlgeburt erzählt. Und sie hatte ihn erneut angelogen, indem sie James als ihr gemeinsames Kind ausgab. Und obwohl sie mit diesen Lügen durchgekommen war, wusste sie, dass Gott sie dafür bestrafte, weil Seamie, ihr geliebter Ehemann, sie nicht mehr liebte.
Das hatte er ihr zwar nie gesagt. Und er war gut zu ihr. Sorgte sich um sie. Unterschrieb alle Briefe mit »in Liebe«. Er tat sein Bestes, sie zu lieben, aber es gelang ihm nicht. In seinen Berührungen lag kein Begehren mehr. Wenn er sie ansah, war sein Blick freundlich, aber distanziert. Ihn umgaben eine Traurigkeit und Bedrücktheit, als wäre das Feuer, das einst so lodernd in ihm gebrannt, das ihn auf den Kilimandscharo und zum Südpol getrieben, das ihn kühn und wagemutig gemacht und seinen Forscherdrang beflügelt hatte, für immer erloschen.
Sie hatte den Brief von Willa gefunden, in dem sie ihm Lebewohl sagte. Er steckte zusammengeknüllt in einer seiner Jackentaschen. Und einen anderen, den er nach ihrer Abreise an sie angefangen hatte und der, in kleine Fetzen gerissen, im Papierkorb seines Arbeitszimmers lag. Darin sagte er ihr, dass sie recht getan habe zu gehen, dass sie stärker gewesen sei als er. Dass er die Untreue gegenüber seiner Frau bereue und den Rest seines Lebens ein guter Ehemann und Vater sein wolle. Aber dass sie, Willa, egal, was passieren, egal, wie viele Jahre vergehen und er sie vielleicht niemals mehr wiedersehen sollte, auf immer und ewig lieben würde. Sie sei sein Herz und seine Seele.
Jennie hatte geweint, als sie diese Worte las. Wegen ihrer beider Leid. Zu wissen, dass er bereute, was er getan hatte, dass er versuchen wollte, ein guter Ehemann zu sein, sogar auf Kosten seines eigenen Glücks, machte es nicht besser. Im Gegenteil, es machte alles nur noch trauriger und bitterer. Willa Alden – nicht sie, Jennie – war Seamie Finnegans Herz und Seele, und Willa hatte ihn verlassen. Und ihr Verlust, zum zweiten Mal in seinem Leben, ließ ihn am Boden zerstört zurück. Gab ihm das Gefühl größter Einsamkeit. Er war nur mehr eine leere Hülle.
»Komm mit, du kleines Äffchen«, sagte ihr Vater jetzt zu James. »Wir lassen die Damen ihre Arbeit machen. Unsere Jungs können ohne warme Socken nicht marschieren.«
James aß das Plätzchen auf und gab Jennie einen Gutenachtkuss. Sie drückte ihn an sich und sog seinen Duft ein. Er war jetzt alles, was sie noch hatte, das Beste und
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