Die Wildrose
ziehen.
»Die Türken sind sehr mächtig«, sagte Khalaf jetzt, immer noch ausweichend. »Faisal mag ein paar Schlachten gewinnen, aber niemals den Krieg.«
»Das ist wahr, Sidi … außer du hilfst uns«, erwiderte Lawrence.
»Warum sollten die Beduinen für Hussein kämpfen? Für die Engländer? Die Beduinen gehören weder zu Hussein noch den Engländern oder Türken. Wir gehören zu niemandem. Wir sind Söhne der Wüste.«
»Dann musst du für die Wüste kämpfen. Und die Türken vertreiben.«
»Was wird Faisal dafür geben?«
»Gold.«
»Und die Engländer?«
»Noch mehr Gold.«
»Warum?«
»Weil wir Interessen in Arabien haben«, erklärte Lawrence. »Wir müssen unsere persischen Ölfelder verteidigen und unseren Zugang nach Indien schützen. Und wir wollen die Kräfte der Türken und Deutschen binden, um sie an der Westfront zu schwächen.«
»Welche Garantien habe ich, dass unsere türkischen Herren verjagt werden und die Engländer nicht an ihre Stelle treten?«
»Du hast meine Garantie. Und die von Mr Lloyd George, Englands großem Scheik. England möchte nur Einfluss haben in der Region, nicht die Kontrolle.«
Khalaf nickte. »Und was ist mit …«, begann er, wurde aber von einem weiteren Schrei unterbrochen. Er stand schnell auf, durchquerte das Zelt und heuchelte Interesse an seinem Falken im Käfig, um sein verzweifeltes Gesicht zu verbergen.
Zum Teufel mit diesen Männern und ihren Kriegen, dachte Willa ärgerlich. Sie konnte nicht mehr still sitzen. Also erhob sie sich und trat zu Khalaf.
» Sidi «, begann sie. »Ich habe Medizin bei mir – starke, gute Medizin. Erlaube mir bitte, zu deinem Sohn zu gehen.«
Khalaf sah sie an. Brennender Schmerz stand in seinen Augen. Er schüttelte den Kopf. »Es ist Allahs Wille«, sagte er leise.
Willa hatte diese Antwort erwartet. Es war die einzige, die er geben konnte. Sie verstand die Härte seines Lebens und das aller Beduinen. Der Tod war ihnen ein ständiger Begleiter. Sie starben an Krankheiten, an Kampfwunden oder im Kindbett. Wie oft hatte sie einen Beduinen gesehen, der einen in ein Leichentuch gewickelten Toten in die Wüste trug. Sie hatte diese Antwort erwartet, konnte sie aber trotzdem nicht akzeptieren.
»Großer Scheik«, sie verneigte untertänig den Kopf vor ihm, »ist es nicht auch Allahs Wille, dass ich heute Nacht hier bin? Er, der mit unendlicher Sorgfalt jede Feder dieses herrlichen Falken gezeichnet hat? Er, der den Spatzen fallen sieht. Weiß er nicht auch, dass ich hier bei dir bin? Hat er nicht auch das gewollt?«
Es war totenstill im Zelt. Langsam hob sie den Kopf und blickte Khalaf an. In dem Moment sah sie nicht den großen Scheik vor sich, sondern einen verzweifelten Vater.
Er nickte. » Inshallah «, flüsterte er. »Wenn Allah es will.«
Sie eilte zu Fahed. »Bitte«, sagte sie, »bring mich zu dem Kind.«
Willa verschlug es den Atem, als sie den Jungen sah. Er war so dehydriert, dass er wie ein alter Mann wirkte. Er glühte vor Fieber, war nicht bei Sinnen und litt unter großen Schmerzen wegen der heftigen Krämpfe, die seinen Körper schüttelten. Sie legte sanft die Hand auf seine Brust. Sein kleines Herz raste. Es war die Cholera. Dessen war sie sich sicher. Sie hatte genügend Fälle in Indien und Tibet gesehen, um die Symptome zu erkennen.
»Hilf ihm, bitte. Bitte. Allah in seiner Güte hat dich geschickt, um ihm zu helfen, das weiß ich. Bitte, hilf meinem Kind«, flehte die Mutter des Kindes. Ihr Name war Fatima. Sie schluchzte inzwischen so heftig, dass Willa sie kaum verstand.
»Ich versuche mein Bestes«, antwortete Willa. »Ich brauche Tee. Minztee. Gekühlt. Kannst du mir den bringen?«
Sie wusste, dass das Kind sofort Flüssigkeit brauchte. Seine Mutter hatte ihm Wasser gegeben, was Willa nicht gut fand. Schließlich wurde so die Cholera übertragen. Wahrscheinlich hatte er sich durch einen verseuchten Brunnen in der Gegend angesteckt. Oder im letzten Lager. Das ließ sich nicht sagen. Beduinen waren immer unterwegs und blieben nie länger als vierzehn Tage an einem Ort. Der Tee jedoch wäre sicher, weil er gekocht worden war. Außerdem würde sie ihm ein paar Tropfen Akonit-Tinktur einflößen. Von Akonit hatte sie im Osten erfahren. Dort wurde es gegen die Cholera eingesetzt. Es half, das Fieber zu senken und den rasenden Herzschlag zu verlangsamen.
Der Tee wurde gebracht, mit dem Medikament versetzt und verabreicht. Der Junge wehrte sich, aber Willa schaffte es, ihm trotzdem etwas
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