Die Wildrose
viel Verstand!«, antwortete sie.
Darüber brach Khalaf in schallendes Gelächter aus, vergaß einen Moment lang seine Sorgen und bat Willa, sich neben ihn zu setzen. Lawrence wurde gebeten, zu seiner Rechten Platz zu nehmen, und Auda neben Lawrence. Day’f Allah, nannte Khalaf sie, »Gäste Gottes«. Fingerschalen wurden gebracht, dann ein köstlicher, mit Minze gewürzter Tee, den Willa gerade trank. Sie wusste, dass ein üppiges Mahl folgen würde. Das verlangte das Gesetz der Gastfreundschaft der Beduinen.
Anfänglich wurde über Alltägliches gesprochen – übers Wetter und Kamele hauptsächlich –, denn gleich den Zweck ihres Besuchs anzusprechen wäre unhöflich gewesen. Nach etwa einer Stunde wurde das Essen serviert.
Es gab Mansaf, ein Beduinengericht aus gekochtem Lamm in Joghurtsoße mit Baharat gewürzt – einer Mischung aus schwarzem Pfeffer, Piment, Zimt und Muskat –, das über offenem Feuer zubereitet, mit Pinienkernen und Mandeln bestreut und mit Reis auf einer großen gemeinschaftlichen Platte serviert wurde. Es war eines von Willas Lieblingsgerichten.
Da sie mit der Etikette der Beduinen vertraut war, wusch sie die Hände in einer Fingerschale und rollte ihren rechten Ärmel hoch. Nur die rechte Hand durfte zum Essen benutzt werden, niemals die linke, denn mit der wischte man sich das Hinterteil ab.
Jeder wusste, warum sie hier waren, aber man verhielt sich gemäß des Wüstensprichworts: »Es ist gut, die Wahrheit zu kennen, aber besser, über Palmen zu sprechen.«
»Al-hamdu illah« , sagte Khalaf – »Gott sei gedankt« –, und das Mahl begann. Willa befeuchtete eine Portion Mansaf mit Jamid, der Joghurtsoße, und formte dann alles zu einem kleinen Ball. Als sie diesen in den Mund schob, achtete sie darauf, dabei die Lippen nicht zu berühren oder etwas von dem Reis oder Fleisch fallen zu lassen. Außerdem achtete sie darauf, ihre Füße sorgfältig unter der Kleidung verborgen zu halten, denn einem Araber die Fußsohlen entgegenzustrecken galt als Gipfel der Unhöflichkeit.
Nach dem Essen wurden Süßigkeiten serviert, und Khalaf ließ seine preisgekrönten Windhunde und seinen Lieblingsfalken hereinbringen, um sie bewundern zu lassen. Auda, ebenfalls ein Beduine, war sehr berührt von der Schönheit des Falken und bezeichnete ihn als ein höchst außergewöhnliches Tier. Lawrence erkundigte sich nach dem Stammbaum der Hunde. Und dann kam man endlich zum Grund ihres Besuchs.
»Faisal ibn Hussein hat uns gebeten, seine ehrerbietigen Grüße auszurichten und dich und deine Männer zu bitten, am Unabhängigkeitskampf Arabiens teilzunehmen«, sagte Lawrence. »Wir haben viertausend Männer, die willens sind, nach Norden zu marschieren und zuerst in Aqaba und dann in Damaskus die Türken anzugreifen. Ich brauche aber mehr. Ich brauche die Männer der Beni Sakhr.«
Khalaf antwortete nicht, sondern sah Auda lange und abschätzend an. »Und meine Howeitat-Brüder?«, fragte er schließlich. »Haben sie sich Faisal angeschlossen?«
»Das haben wir«, erwiderte Auda.
Willa hielt den Atem an, als sie Khalafs Reaktion abwartete. Audas Antwort konnte von Vorteil oder Nachteil sein. Oft herrschte extremes Misstrauen zwischen Beduinen. Allianzen zwischen verschiedenen Stämmen reichten oft Generationen zurück, aber ebenso Rivalitäten und Fehden.
Khalaf wollte gerade etwas erwidern, als ein langer, durchdringender Schrei durch die Zeltwände drang – der Klageruf einer Frau. Alle hörten ihn, aber niemand ging darauf ein, weil Khalaf al Mors steinerne Miene dies verwehrte.
Der Schrei erschütterte Willa im Innersten. Sie war sich sicher, dass er von der Frau des Scheiks stammte, der Mutter des schwer kranken Sohnes. Gerne wäre sie hinausgegangen, um der Frau mit dem sterbenden Kind beizustehen. Sie hatte westliche Medizin bei sich – Chinin, Akonit und Morphium. Das hatte sie immer bei sich. Wenn die ersten beiden Medikamente nicht geholfen hätten, würde das dritte zumindest die Schmerzen des Kindes lindern. Doch ohne die Erlaubnis des Scheiks durfte sie das Zelt nicht verlassen. Wenn sie ihn darum bitten würde, gewährte er die Bitte vielleicht – oder wäre ernsthaft beleidigt. Weil er ihre Bitte als Unterstellung auffassen könnte, seine eigenen Bemühungen bei der Pflege des Kindes seien nicht ausreichend. Wenn das passierte, wenn sie Khalaf in seinem eigenen Zelt, vor seinen Männern, beleidigte, würde er nie zustimmen, mit Lawrence und Faisal in den Kampf zu
Weitere Kostenlose Bücher