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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Geht so ein Mörder vor, der seine Spuren verwischen will, Doktor?«
    Dem konnte India nichts entgegensetzen.
    Er sah sie mit einem freundlichen Lächeln an und sagte: »Selbstmord ist eine sehr bittere Sache. Die Hinterbliebenen suchen immer nach einer anderen Erklärung. Aber ich bin überzeugt, dass Miss Selwyn-Jones Tod genau das war – ein Suizid.«
    »Ich vermisse sie, Sid«, sagte India jetzt mit leiser Stimme. »Ich vermisse sie so sehr.«
    Sid stand auf, nahm India in die Arme, drückte sie an sich und ließ sie weinen. Ihr Cousin Aloysius war vor einigen Jahren ermordet worden, und jetzt hatte sie auch ihre Schwester verloren. Sie waren die einzigen Familienmitglieder, denen sie nahegestanden hatte. Wenn er nur etwas für sie tun könnte, dachte Sid. Sie kam einfach nicht über Mauds Tod hinweg.
    »Ich wünschte, ich könnte glauben, was Barrett gesagt hat, dann könnte ich loslassen. Aber so kann ich es nicht.«
    Auch Sid wünschte sich, er könnte loslassen. Aber wie auch India konnte er sich nicht vorstellen, dass Maud sich umgebracht hatte. Andererseits hatte Barrett vielleicht doch recht. Vielleicht war sie wirklich süchtig geworden, und sie hatte sich nach dem Verlust ihres Liebhabers im Drogenwahn zu irrationalen Handlungen hinreißen lassen.
    Wenn Maud jedoch süchtig war, hätte jemand sie mit Drogen versorgen müssen, dachte Sid. Einen Moment lang fragte er sich, ob es sein alter Kumpan Teddy Ko, der Drogenbaron aus dem East End, gewesen sein konnte. Sein Etablissement hatte Maud früher besucht. Bei Ko hatte Sid India zum ersten Mal gesehen, als sie versuchte, Maud und die anderen armen Teufel zu überzeugen, die Opiumhöhle zu verlassen.
    Als er an diese unglückseligen, verräucherten Plätze zurückdachte, wusste er plötzlich, was er zu tun hatte. Er wusste, wie er seiner Frau helfen konnte. Er würde zu Ko gehen und ihn fragen, ob er oder jemand aus der Szene Maud Drogen verkauft hatte. Wenn Teddy etwas wusste, würde er es vielleicht ausplaudern. Oder auch nicht. Dennoch musste er es versuchen. Er wollte für India Antworten finden, damit sie sich mit dem Tod ihrer Schwester endlich abfinden konnte.
    Er würde nach London gehen. Nicht gleich, da Stephen und die anderen Jungs ihn gerade jetzt so dringend brauchten, aber noch vor Ende des Sommers. Bislang hatte er sich aus gutem Grund von London ferngehalten, das wusste India, also müsste er sich eine Geschichte ausdenken, warum er plötzlich hinfahren wollte – vielleicht um Nachschub fürs Hospital zu beschaffen –, damit sie sich keine Sorgen machte. Er hatte zwar nicht die geringste Lust, dorthin zurückzukehren, aber für India würde er es tun.
    Zurück ins East End. Zurück in die Vergangenheit. Zurück zum Schauplatz so vieler Verbrechen.

   54   
    M ach schnell, Willa, sonst knallt uns der Türke ab!«, rief Dan Harper über den Lärm der Propeller seines Doppeldeckers hinweg.
    Willa hob den Daumen und signalisierte ihm, dass sie ihn verstanden hatte. Er hob ebenfalls den Daumen, dann schwenkte der Doppeldecker scharf nach rechts. Willa löste den Sicherheitsgurt, hob die Kamera, lehnte sich, so weit sie konnte, aus dem Sitz und begann zu filmen. Beduinenkämpfer hatten Lawrence über das türkische Lager in einem Tal westlich der Jabal-Ad-Duruz-Hügel informiert. Lawrence hatte keine Ahnung, ob das stimmte oder ob sie von den Türken bezahlt wurden, falsche Informationen zu streuen. Er schickte sofort einen Boten nach Amman, wo die Briten Truppen und zwei Flugzeuge stationiert hatten, und bat den Kommandeur um Luftaufklärung. Willa begleitete den Boten. Sie hatte noch nie Luftaufnahmen gemacht und hielt es für eine gute Gelegenheit, es einmal zu versuchen. Bei Lawrence bedurfte dies nur geringer Überzeugungsarbeit. Die Nachrichten der Beduinen machten ihm Sorgen, und er wusste, sie würde gutes Material zurückbringen. Das angebliche Lager befand sich nahe Damaskus. Hatten die Türken Wind von dem Plan bekommen, die Stadt einzunehmen? Zogen sie Truppen zu deren Verteidigung zusammen? Jetzt war Anfang August, und Lawrence hatte letzten Monat ohne große Schwierigkeiten Aqaba erobert, aber Damaskus, das massiv verteidigt wurde und das Lawrence noch vor Herbstanfang in britischer Hand haben wollte, war die weitaus härtere Nuss.
    Willa sah, dass die Position des Lagers von den Beduinen korrekt beschrieben worden war – es lag etwa hundertfünfzig Meilen südöstlich von Damaskus in einem flachen Tal –, aber sie hatten

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