Die Wildrose
seine Größe unterschätzt. Die Zelte erstreckten sich über eine Fläche von mindestens zwanzig Hektar. Soldaten machten militärische Übungen – mindestens tausend Mann. In einem riesigen Gehege befanden sich Unmengen von Ziegen und Schafen für die Verpflegung der Mannschaften. In einem anderen Kamele, die offenbar für Erkundungsritte eingesetzt wurden.
Glücklicherweise gab es keine Flugzeuge. Die Deutschen verfügten über weit weniger Maschinen in Afrika als die Briten. Daher war ihre Luftaufklärung schlechter als die der Briten und ihre Luftangriffe unregelmäßig. Doch es gab Kanonen: zwei große Flugabwehrgeschütze. Die Dan und sie sofort erspähten und wussten, dass ihnen nur wenige Minuten für ihr Vorhaben blieben, um dann schnell wieder abzuhauen. Die Türken wollten offensichtlich nicht, dass ihre Stellung entdeckt wurde, oder falls doch, die Entdecker nicht überlebten, um sie publik zu machen.
Als Willa durch den Sucher blickte, sah sie Soldaten zu den Geschützen rennen. Nur Sekunden später waren sie schussbereit auf sie gerichtet.
»Los, Dan!«, rief sie immer noch filmend. »Bloß schnell weg von hier!«
Dan hatte dies längst begriffen. Das Flugzeug, eine Sopwith Strutter, war schnell und gut manövrierbar. Er nahm Geschwindigkeit auf, stürzte plötzlich nach unten, schwenkte nach rechts, stieg wieder auf und flog in Zickzacklinien, um dem einsetzenden Geschützfeuer auszuweichen.
Willa hoffte, dass sie alles auf Zelluloid gebannt hatte.
Nur eine Minute später, obwohl es ihr wie eine Ewigkeit vorkam, schoss das Flugzeug über die ersten Hügel des Jabal Ad Duruz, außerhalb der Reichweite der Geschütze.
Dan stieß laute Freudenschreie aus, hob erneut den Daumen, und Willa lehnte sich erleichtert in ihren Sitz zurück. Sie hatten es geschafft. Sie hatte ihre Aufnahmen. Dan hatte sie lebend rausbekommen, und Lawrence würde die Informationen erhalten, die er so dringend brauchte.
Während Dan über die hügelige Landschaft flog, fragte sich Willa, was die türkischen Truppen dort wohl machten. Wenn sie Damaskus verteidigen sollten, warum wurden sie dann hier stationiert? Sie spürte, wie die Maschine plötzlich scharf nach links schwenkte, und wusste, dass sie jetzt Richtung Süden zum Lager flogen. Dan würde sie dort absetzen und dann nach Amman zurückkehren. Ihr Atem hatte sich gerade etwas beruhigt, als sie Dan plötzlich laut und mit Panik in der Stimme fluchen hörte.
»Was ist?«, rief sie.
»Ein Sandsturm!«, brüllte er zurück. »Wie aus dem Nichts! Ich geh runter!«
Zwei Minuten später traf der Sturm sie, schüttelte das Flugzeug heftig durch und trieb stechend scharfe Sandkörner vor sich her. Willa spürte sie im Gesicht. Ihre Brille schützte zwar ihre Augen, aber die Sicht wurde ihr versperrt. Der Sturm wirbelte so dichte Schwaden auf, dass sie die Hand vor den Augen nicht mehr sehen konnte.
Sie spürte, wie das Flugzeug stotternd an Höhe verlor. Während Dan versuchte, die Maschine unter Kontrolle zu bringen, hörte sie ihn immer wieder fluchen, und dann hörte sie gar nichts mehr – außer dem wütenden Heulen des Winds –, weil die Propeller ausgesetzt hatten.
»Sie sind blockiert!«, schrie Dan. »Sand ist reingekommen. Halt durch!«
»Wie hoch sind wir?«, rief Willa und schnallte ihren Sicherheitsgurt fester. Wenn sie im Gleitflug nach unten kämen, hätten sie vielleicht eine Chance.
Aber Dan antwortete nicht. Er konnte nicht. Er bemühte sich, das Flugzeug waagerecht zu halten, um es wie einen Segelflieger nach unten zu bringen. Willa bemerkte, wie die Maschine vom Wind gepackt wurde, in ein Luftloch fiel, sich wieder fing und erneut absackte.
Der Film, dachte sie. Die Kamera. Egal, was ihr passierte, dem Film durfte nichts geschehen. Sie legte die Kamera in den Schoß, beugte sich darüber und hoffte, sie beim Aufprall mit ihrem Körper zu schützen.
Sie hörte Schreie – wusste aber nicht, ob sie von ihr, von Dan oder vom Wind stammten. Dann folgte ein dröhnendes Geräusch, als das Flugzeug nach unten rauschte. Es schlug hart auf dem Boden auf, und das Fahrgestell wurde abgerissen. Die Maschine schlitterte mit hoher Geschwindigkeit weiter, traf auf einen Felsen, überschlug sich und verlor Tragflächen und Propeller.
Willa spürte, wie sich der Doppeldecker nochmals überschlug. Sand und Felsbrocken prasselten auf sie nieder, Teile des Fluggestells schienen sie zu erdrücken. Der Gurt, der sie im Sitz hielt, drohte sie zu zerschneiden. Das
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