Die Wildrose
Charmeur.
Teddy setzte sich an seinen großen, mit Drachenbildern geschmückten Ebenholzschreibtisch und bedeutete Sid, auf dem Stuhl gegenüber von ihm Platz zu nehmen.
Während er das tat, sah sich Sid in dem großen, opulent ausgestatteten Raum um. An den Wänden hingen reich bestickte Zeremonialgewänder aus China, gekreuzte Schwerter mit juwelenbesetzten Griffen und handkolorierte Fotografien, die Peking zeigten. In den Ecken standen hohe blauweiße Vasen. Dicke Teppiche, ebenfalls mit Drachen verziert, bedeckten den Boden.
Sid erinnerte sich noch an die Zeit, als Teddy seine Geschäfte in einem Hinterzimmer einer seiner Wäschereien betrieb. Damals, als er Sid noch Schutzgeld zahlte. Als Sid noch der Boss war – der größte und am meisten gefürchtete Verbrecherkönig von London.
»Du hast es weit gebracht, Teddy«, sagte er.
Teddy schmunzelte, geschmeichelt von dem Kompliment. »Ich hab jetzt achtundfünfzig Wäschereien. In ganz London. Und eine große Importfirma – Porzellan, Möbel, Kunst, Seide, Sonnenschirme, die ganze Palette, alles direkt von Schanghai nach London importiert.« Er senkte die Stimme. »Das ist die legale Seite. Aber ich misch auch noch kräftig im Drogenhandel mit. Außerdem bin ich ins Prostitutionsgeschäft eingestiegen. Ich hab Bordelle im East und im West End. Dreiundzwanzig, mit steigender Tendenz.«
»Das ist ja großartig, Teddy«, erwiderte Sid. Zu einem »herzlichen Glückwunsch« konnte er sich dann doch nicht durchringen.
»Wie steht’s mit dir? Wo bist du gewesen? Was hast du die ganze Zeit über so getrieben?«
»Das ist eine lange Geschichte«, antwortete Sid. »Ich war im Ausland.«
Teddy nickte wissend. »Ist dir wohl zu heiß geworden hier wegen der Bullen?«, fragte er. »Hast dich ’ne Weile aus dem Verkehr ziehen müssen? Na ja, aber die krummen Touren laufen in Dublin oder Glasgow oder wo immer du dich auch gerade rumtreibst, ganz sicher genauso gut.«
Sid lächelte. Ihm sollte es recht sein, wenn Teddy glaubte, er sei nirgendwo anders hingekommen. Er würde weder Teddy noch sonst jemandem aus seinem früheren Leben von seiner neuen Existenz und seinem neuen Nachnamen erzählen. Seine Frau, seine Kinder, Amerika – das alles war tabu für sie.
Teddys Sekretärin kam herein und stellte ein Silbertablett mit einer Flasche Scotch, einem Eiskübel, zwei Kristallgläsern und einem kleinen hölzernen Humidor auf den Tisch. Sie goss Whisky ein, schnitt die Zigarren ab, gab ihnen Feuer und huschte dann leise wieder hinaus. Sid hatte weder Lust auf Drinks noch auf Zigarren, aber es wäre unhöflich gewesen, das Angebot abzulehnen.
»Also, Sid«, begann Teddy und sah auf seine Uhr, »was kann ich für dich tun? Was führt dich zu mir? Geschäfte oder Vergnügen?«
»Weder noch«, antwortete Sid. »Ich bin hergekommen, weil ich einem Freund einen Gefallen tun will.«
Teddy paffte seine Zigarre und zog eine Augenbraue hoch. »Sprich weiter.«
»Vor ein paar Jahren, kurz vor Ausbruch des Krieges, hat sich eine frühere Kundin von dir, Maud Selwyn-Jones, mit einer Überdosis Morphium das Leben genommen.«
»Ich erinnere mich. Schad drum.«
»Hat sie es von dir bekommen?«
Teddy beugte sich vor. Sein Lächeln war verschwunden. »Vielleicht ja, vielleicht nein. Warum zum Teufel sollte ich dir das auf die Nase binden? Du bist schon lange weg von hier, Sid. Die Dinge haben sich geändert. Du bist nicht mehr der Boss. Wenn du was von mir willst, dann zahl dafür. Wie jeder andere auch.«
Sid hatte nichts anderes erwartet. Er griff in seine Jackentasche, zog einen Umschlag heraus und schob ihn über den Tisch.
Teddy öffnete den Umschlag, zählte den Inhalt – der sich auf einhundert Pfund belief – und sagte dann: »Ich hab Maud das Morphium nicht verkauft. Ich hab ihr überhaupt kaum mehr was verkauft. Sie ist schon seit Jahren nicht mehr in die Opiumhöhlen gekommen. Nachdem diese verdammte Doktorin, ihre Schwester oder wer das war, damals versucht hat, sie rauszuzerren. Diese elende Wichtigtuerin. Die mir unbedingt mein Geschäft kaputt machen wollte.«
Sids Kiefer spannten sich an, aber er sagte nichts. Eine Auseinandersetzung mit Teddy hätte nichts gebracht. »Hat sie denn deiner Meinung nach wie eine Süchtige ausgesehen?«, fragte er. »Das letzte Mal, als du sie gesehen hast?«
Teddy schüttelte den Kopf. »Nein. Sie war dünn, aber das war sie ja immer. Sie hat auch nicht total runter ausgesehen. Du weißt schon, kreidebleich, dunkle Ringe um
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