Die Wildrose
Aqaba zurückerobern und dann nach Kairo vorstoßen. Dafür brauchen sie natürlich mehr Bodentruppen, aber sie haben auch begonnen, ihre hiesigen Seestreitkräfte aufzustocken.«
»Mein Gott. Die Hawk «, sagte Seamie. »Meine Männer.«
Albie nickte. »Wir glauben nicht, dass dich dieses deutsche Kanonenboot zufällig aufgespürt hat. Sie wussten, wo du warst. Wir haben in den letzten drei Tagen noch zwei weitere Schiffe verloren. Eines an der Küste von Tripolis, das andere im Süden von Zypern. Die Admiralität will, dass damit Schluss ist. Sofort.«
»Aber wie?«, fragte Seamie. »Ihr habt den Maulwurf in London nicht finden können. Und er ist seit Jahren tätig.«
Albie nickte. »Captain Reginald Hall, der Leiter von ›Room 40‹, glaubt, wenn wir ihn selbst nicht schnappen können, dann vielleicht seinen Kontaktmann hier. Auch das dürfte nicht ganz leicht sein, zugegeben, aber ein großer Teil der Geheimnachrichten geht über Kairo, Jaffa und Haifa. Die Leute hier kriegen eine Menge mit. Ich hoffe, wir können genügend Informationen sammeln, um schließlich das Puzzle zusammenzusetzen. Wir bedienen uns vieler Quellen – Beduinenhändler, die zwischen Kairo und Damaskus unterwegs sind und Waren und Pakete befördern. Bordellbetreiber, deren Mädchen Europäer bedienen. Hotelbesitzer. Barmänner. Ich weiß nicht, von wem die Information kommen wird, aber ich verfolge jede Spur, auf die ich stoße. Wir müssen diesen Mann finden. Bevor es zu spät ist. Bevor er noch mehr Schaden anrichtet.«
»Wie kann ich helfen, Albie?«
»Halt die Ohren offen«, antwortete Albie. »Du glaubst gar nicht, was für Leute alle infrage kommen könnten. Es könnte dein Friseur oder der Kellner sein, der deinen Lunch serviert. Du weißt nie, wie nah du ihm vielleicht schon bist.«
»Entschuldigen Sie, Mr Alden …« Eine junge Frau stand in der Tür. Sie war klein und hübsch und trug eine weiße Bluse und einen grauen Rock. Ihr Haar war ordentlich zurückgekämmt.
»Ja, Florence?«
»Hier ist noch etwas, das gerade aus General Allenbys Büro eingetroffen ist. Geheim«, sagte sie und reichte ihm einen Umschlag.
»Danke, Florence. Das wäre dann alles. Bis morgen. Ich werde gegen zehn Uhr hier sein.«
»Alles klar. Gute Nacht, Sir.«
»Gute Nacht.«
»Ich werfe nur noch kurz einen Blick da rein, dann gehen wir. Nimm doch bitte unsere Jacken, ja?«, sagte Albie.
Als Albie den Umschlag öffnete und ein getipptes Memo herauszog, nahm Seamie ihre Jacketts vom Garderobenständer. Er war froh, dass sie endlich in die Offiziersmesse gingen. Ein kühler Gin Tonic war genau das, was er jetzt brauchte.
»Bist du fertig?«, fragte er Albie.
Aber Albie antwortete ihm nicht, sondern hielt mit einer Hand das Gesicht bedeckt.
»Albie?«, fragte Seamie alarmiert. »Albie, was ist?«
Albie reichte ihm, ohne ein Wort zu sagen, das Memo. Seamie überflog es schnell.
Ein britisches Flugzeug, das in den Hügeln des Jabal Ad Duruz einen Aufklärungsflug unternommen hatte, war vor vier Tagen in der Wüste abgestürzt. Der Pilot Dan Harper war bei dem Absturz umgekommen. Es hatte sich noch ein Passagier an Bord befunden – der Fotograf Alden Williams. Williams, der nicht am Absturzort gefunden wurde, konnte von Beduinenkriegern oder von türkischen Truppen entführt worden sein, die das Gebiet kontrollierten. Das Wrack wurde sorgfältig durchsucht, aber Williams’ Kamera nicht gefunden. Alle Informationen, die Williams über Größe und Truppenstärke der Türken gesammelt haben könnte, waren verloren. Falls die Türken Williams in ihrer Gewalt hatten, könnten sie versuchen, geheime Informationen aus dem Gefangenen herauszupressen. Am Ende der Nachricht befand sich eine handschriftliche Notiz von General Allenby.
»Nein«, stieß Seamie hervor. »Gütiger Gott, nein.«
Lieber Alden,
da dieser Vorfall die Aufklärung betrifft und in Ihren Zuständigkeitsbereich fallen könnte, hier noch ein paar Einzelheiten.
Alden Williams, wie Sie vielleicht wissen, war der Fotograf bei der Einheit von Lawrence. Williams ist ein Pseudonym, um die Tatsache zu verschleiern, dass es sich bei dem Fotografen um eine Frau handelt. Die britische Öffentlichkeit würde höchstwahrscheinlich keine Frau auf dem Schlachtfeld akzeptieren. Genauso abstoßend fände sie die Vorstellung, dass eine britische Frau in türkische Gefangenschaft geriet, nachdem Ihnen bekannt sein dürfte, dass die Türken ihre Gefangenen mit größtmöglicher Grausamkeit
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