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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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für eine Spionin hielten und vernehmen wollten.
    Sie fürchtete sich vor der Vernehmung, denn sie hatte allerhand Geschichten über die Methoden der Türken gehört und wusste, sie würden vor nichts zurückschrecken, um Informationen aus ihr herauszupressen. Sie schwor sich einen heiligen Eid, nichts zu verraten, ganz gleich, was sie ihr antun sollten. Am Ende würden sie aufgeben und sie töten, aber sie würde ihnen nichts verraten, weder über Lawrence noch über Damaskus.
    Sie würde etwas brauchen, um die kommenden Qualen durchzustehen. Etwas, woran sie sich klammern konnte, um den Mut und die Kraft nicht zu verlieren, während sie sie blutig schlugen.
    Das Bild eines Gesichts trat vor ihr geistiges Auge, ganz ohne ihr Zutun. Mit zitternder Hand zeichnete sie einen Buchstaben in den Lehm des Zellenbodens – den Buchstaben S.

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    S eamie, das kannst du nicht machen. Das ist Wahnsinn. Absoluter Wahnsinn«, sagte Albie.
    Seamie, der gerade den Sattelgurt bei seinem Kamel festzurrte, antwortete nicht.
    »Allenby schickt Männer raus, um sie zu suchen«, erklärte Albie.
    »Was für Männer? Falls du es vergessen haben solltest, Albie, wir haben Krieg«, erwiderte Seamie. »Allenby wird keine wertvollen Truppen einsetzen, um eine einzelne Person zu suchen, noch dazu eine, die noch nicht einmal in der Wüste vermutet wird.«
    »Aber du bist verwundet! Du kannst doch unmöglich mit deinen Verletzungen reiten. Und selbst wenn, weißt du nicht, was du machen sollst. Du weißt ja noch nicht mal, wo du suchen sollst!«
    »Er weiß es«, antwortete Seamie und deutete auf einen Mann im Sattel eines zweiten Kamels, auf Abdul, seinen Beduinenführer.
    Albie schüttelte den Kopf. »Ihr beide … ganz allein in der Wüste. Innerhalb eines Tages habt ihr euch rettungslos verirrt. Und wofür, Seamie? Willas Flugzeug ist abgestürzt. Vermutlich wurde sie schlimm verletzt und lebt wahrscheinlich gar nicht mehr.«
    Seamie seufzte. »So ist er, unser Albie, immer der unverbesserliche Optimist.«
    »Was ist mit deinem Schiff? Du sollst doch in fünf Wochen das Kommando über ein neues Kriegsschiff übernehmen. Wie willst du denn die Hügel des Jabal Ad Duruz erreichen, die Gegend absuchen und rechtzeitig nach Haifa zurückkommen? Wenn du nicht am Tag deines Einsatzes an Deck bist, giltst du als Deserteur. Du weißt, was das britische Militär von Deserteuren hält. Du kommst vors Kriegsgericht und wirst erschossen.«
    »Dann muss ich mich eben ein bisschen beeilen.«
    Während Albie ihn scharf tadelte, überprüfte Seamie seine Satteltaschen, ob er seine Pistolen, genügend Munition, Medikamente und Verbandszeug und seinen Feldstecher eingepackt hatte. Dann kontrollierte er seine Wasser- und Essensvorräte. Gleich nachdem er Allenbys Memo gelesen hatte, beschloss er, Willa zu suchen. Die Nachricht hatte ihn zutiefst erschüttert. Der Gedanke, dass sie sich verletzt und verängstigt in den Händen grausamer, feindlicher Männer befand, war ihm unerträglich und trieb ihn fast in den Wahnsinn.
    Statt mit Albie in die Offiziersmesse zum Essen zu gehen, verbrachte er fast die ganze Nacht damit, die Suchaktion vorzubereiten. Noch vor Sonnenuntergang fand er einen Führer, und gemeinsam mit ihm besorgte er sich Ausrüstung und Proviant. Dann schlief er ein paar Stunden, stand um vier Uhr früh auf und machte sich auf den Weg in Richtung der Stadttore. Dort traf er sich kurz nach fünf an der östlichen Mauer mit Abdul.
    Albie, der von Anfang an gegen den Plan gewesen war, kam ebenfalls zu dem Treffpunkt und versuchte, Seamie das Vorhaben auszureden. Er zählte praktisch alle Argumente auf, die ihm einfielen – bis auf eines, das ihm das Wichtigste war. Eigentlich wollte er es nicht erwähnen, aber als er sah, dass seinen Freund nichts von dieser Dummheit abhielt, blieb ihm keine andere Wahl.
    »Seamie …«, begann er jetzt zögernd.
    »Ja?«, fragte Seamie und schloss eine seiner Satteltaschen.
    »Was ist mit Jennie?«
    Seamie hielt inne, starrte einen Moment vor sich hin und drehte sich dann zu Albie um. Albie hatte seine Affäre mit Willa nie angesprochen, sie nie auch nur mit einem Wort erwähnt. Jahrelang hatte Seamie geglaubt, Albie hätte keine Ahnung davon. Jetzt musste er einsehen, dass er sich getäuscht hatte. Aber er erkannte auch noch etwas anderes.
    »Du bist es also gewesen, Albie?«, sagte er ruhig. »Du warst derjenige, der Willa aufgefordert hat abzureisen. London zu verlassen. Mich zu verlassen. Ich habe

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