Die Wildrose
»Ach, wirklich? Und wer sind Sie?«
»Joe Bristow, Parlamentsabgeordneter für Hackney. Sir George hat recht, was Flynn betrifft – er ist ein deutscher Informant. Ich kann das beweisen. Er hat einen Umschlag bei sich. Der enthält Durchschläge von Briefen von Sir George, die aus seinem Büro gestohlen wurden. In den Briefen stehen Geheiminformationen über die Position britischer Schiffe – Informationen, die Flynn auf dem Seeweg nach Berlin bringen lässt. Öffnen Sie ihn. Dann sehen Sie es selbst.«
Mit skeptischem Blick ging Stevens zu Flynn und zog einen Umschlag aus der Brusttasche des Mannes.
Sid, der die Luft angehalten hatte, stieß sie erleichtert wieder aus. Es war derselbe Umschlag, den Joe von Jennie erhalten hatte. Er erkannte ihn. Jetzt würde Stevens sehen, dass sie die Wahrheit sagten. Er würde sie freilassen, ihnen erlauben, Flynn mitzunehmen, damit Burgess und der Geheimdienst ihn verhören konnten.
Stevens öffnete den Umschlag. Er blickte hinein, lächelte und kippte den Inhalt – Diamanten, Rubine und Smaragde – in seine Hand. Ein paar seiner Leute traten vor, um sie genauer zu begutachten.
»Sie blicken auf Steine im Wert von etwa fünfzigtausend Pfund, meine Herren«, sagte er. »Von einem Juwelier in Brighton gestohlen und auf dem Weg nach Amsterdam.« Mit einem düsteren Blick in Joes Richtung fügte er hinzu: »Ich weiß nicht, wer die drei sind oder was sie mitten in der Nacht mit Jack Flynn zu schaffen haben, aber ich werde sie verhaften und es herausfinden. Was ich jedoch weiß, ist, dass Flynn ein berüchtigter Hehler ist. Wir beobachten ihn schon seit einiger Zeit, haben ihn aber nie im Besitz der Ware schnappen können. Nicht bis heute Nacht, was, Jack?«, sagte Stevens mit einem Zwinkern in Flynns Richtung. Vorsichtig legte er die Juwelen in den Umschlag zurück. »Ich wünschte bloß, ich hätte auch den Bootsmann geschnappt. Den Typen, der Flynn geholfen hat, die Ware nach Holland zu schaffen. Aber er war zu schnell. Entweder hätten wir ihn verfolgt oder Flynn geschnappt. Bringt sie weg, Jungs. Alle zusammen.«
Die drei Männer wurden aufs Deck des Boots verfrachtet. Joes Rollstuhl wurde gesichert, damit er nicht wegrollte, während das Boot umdrehte und zurück flussaufwärts fuhr. Flynn wurde unter Deck gebracht. Sid sah ihn an, als er an ihm vorbeigeführt wurde, und er hätte schwören können, dass ein Anflug von einem Lächeln über sein Gesicht huschte.
»Das ist wirklich lächerlich. Eine absolut irrwitzige Farce!«, zischte Burgess. »Es war der derselbe Umschlag, der von Jennie Finnegan stammte. Absolut derselbe. Dessen bin ich mir sicher. Auf der Lasche war sogar noch der schwarze Fleck, an den ich mich genau erinnere. Was zum Teufel ist da passiert?«
»Jemand hat Flynn gewarnt«, sagte Sid. »Ihm gesteckt, dass man ihn schnappen will. Leute, die nicht wollten, dass er als Spion verhaftet wird. Sie sind auch an den Umschlag gekommen. Haben die Papiere gegen die Steine ausgetauscht. Und ihm befohlen, wie üblich auf die Tour zu gehen. Das ist alles sehr besorgniserregend, aber das wirklich Schlimme an der Sache ist, dass jemand mächtig genug ist, Scotland Yard dazu zu bringen, bei der Farce mitzuspielen.«
Alle schwiegen eine Weile, dann sagte Burgess: »Aber warum? Warum hat man ihm nicht einfach gesagt abzuhauen? Aus London zu verschwinden? Abzutauchen? Wozu das Ganze, ihn als Hehler festzunehmen? Und uns gleich mit? Ich bin mir sicher, sie halten uns zehn Minuten fest und lassen uns dann wieder laufen.«
»Weil dieser Jemand zeigen will, dass wir falsch liegen. Um uns lächerlich zu machen. Um unsere Theorien über Max von Brandt, Jack Flynn und Gladys Bigelow vom Tisch zu wischen. Um alles wie totalen Blödsinn aussehen zu lassen«, antwortete Sid.
»Aber wer sollte das tun? Wer weiß denn sonst noch Bescheid?«, fragte Burgess. »Wem haben Sie davon erzählt?«
»Niemandem«, sagte Joe.
»Ich auch nicht«, antwortete Sid. »Außer uns dreien wusste keiner etwas. Außer Sie haben geplaudert, Sir George.«
»Ich habe Churchill informiert. Und Asquith«, erwiderte Burgess. »Es kann nur eines bedeuten …«
»Dass Churchill für den Kaiser arbeitet«, warf Sid trocken ein. »Und Asquith auch.«
Joe lachte, aber sein Blick wurde hart, und er fügte mit grimmiger Stimme hinzu: »Es bedeutet, dass Max von Brandt doch noch lebt. Ganz zweifellos. Weil jemand – jemand ziemlich weit oben – sich sehr bemüht, ihn zu schützen.«
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W
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