Die Wildrose
spielten im Laderaum von Johns Frachtkahn, der bei Billy Maddens Werft festgemacht war. Aber Sids Gedanken waren nicht auf die Karten gerichtet. Dafür war er zu angespannt. John ging es nicht anders, er konnte es aber besser verbergen.
Sie warteten auf Flynn. Sid hatte den Umschlag von Jennie im Keller von St. Nicholas in die zerbrochene Statue des Heiligen gesteckt. Und zwar sofort, nachdem er das Krankenhaus verlassen hatte. Aber war das noch rechtzeitig genug gewesen?
Er hatte keine Ahnung, wann Flynn durch das Tunnellabyrinth kam, um ihn abzuholen. Was, wenn er schon da gewesen war? Wenn er von Gladys Bigelows Tod gehört hatte. Burgess’ Büro hatte die Zeitungen gebeten, die Geschichte einen Tag zurückzuhalten, aber sie konnten Nachbarn und Freunde nicht vom Reden abhalten. Oder den Vermieter, den Obsthändler oder den Zeitungsmann an der Ecke.
So viel hing heute Nacht vom richtigen Zeitpunkt ab. Oder vom Glück. Burgess brauchte Flynn. Er musste herausfinden, wie viel Berlin wusste. Sid brauchte ihn ebenfalls. Er musste herausfinden, in welchen Schwierigkeiten sein Bruder Seamie steckte. Und John brauchte ihn. Er wollte, dass Flynn auftauchte und auf den verdammten Kahn stieg. Er müsste so tun, als würde er wie üblich in die Nordsee fahren, damit er gute drei Tage Vorsprung hatte, bevor Madden herausfand, dass er für immer abgehauen war.
»Geh rauf und sieh nach, ob er …«, begann Sid, als sie es beide hörten – das Geräusch von Schritten am Dock. Sid erhob sich wortlos und stellte sich dicht an die Leiter, damit Flynn ihn nicht sehen würde, wenn er herunterkam. John hatte ihm gesagt, dass Flynn immer mit dem Gesicht zu den Sprossen herunterkletterte.
Sid sah ein Paar Stiefel, dann starke, schlanke Beine, eine Tasche, die an einem Schultergurt hing, und dann den Rest eines ziemlich großen Mannes. Bei seinem Anblick war er froh, dass er Joes Angebot einer Pistole nicht abgelehnt hatte.
Als Flynn die letzte Sprosse herunterstieg, trat Sid geräuschlos vor und drückte ihm den Lauf der Waffe an den Hinterkopf. Er spannte den Abzugshahn. Das Geräusch war nicht zu verkennen. Flynn erstarrte.
»Keinen Schritt weiter«, sagte Sid. »Hände hoch, damit ich sie sehen kann.«
Flynn gehorchte. Und dann, gerade als Sid die Handschellen um sein Gelenk zuschnappen lassen wollte, duckte sich Flynn weg, wirbelte herum und schlug ihm die Faust in den Magen.
Sid taumelte von der Leiter weg, drückte die Hand auf den Bauch und versuchte, Luft zu holen, während Flynn schon nach oben kletterte.
Nein !, rief Sid tonlos und schwankte zur Leiter. Aber John war schneller. Wie der Blitz schoss er die Leiter hinauf, schlang den Arm um Flynns Hals, packte seine Haare und schlug den Kopf des Mannes gegen eine Sprosse.
Flynn schrie auf vor Schmerz. Er ließ die Leiter los, verlor das Gleichgewicht und stürzte ab. Gemeinsam mit John. Beide fielen krachend zu Boden. John gönnte Flynn jedoch keine Zeit, sich zu erholen. Er war zwar nicht ansatzweise so groß wie sein Gegner, aber äußerst flink. Er setzte sich auf ihn und drosch wie ein Wilder auf sein Gesicht ein. Flynn holte ebenfalls aus und versuchte, ihn abzuwerfen. John wich einigen seiner Schläge aus, andere steckte er ein, aber sie bremsten ihn nicht. Er wurde nicht einmal langsamer. Er kämpfte um sein Leben – und das seiner Familie.
In der Zwischenzeit war Sid wieder zu Atem gekommen und hob die Handschellen auf. Flynn, der bereits übel zugerichtet war und blutete, konnte gegen zwei Männer nichts ausrichten. In Windeseile fesselten sie ihm die Hände auf den Rücken, knebelten ihn und banden seine Fußgelenke zusammen.
»Gut gemacht«, sagte Sid zu John, als sie mit ihm fertig waren. Sid atmete schwer. John blutete. Aber sie waren glücklich.
»Einen Moment lang hab ich gedacht, wir hätten ihn verloren«, sagte John.
»Ich auch. Ich …«
»John!«, brüllte eine Stimme von oben. »John Harris!«
Sid und John erstarrten. Sie kannten die Stimme. Es war die von Billy Madden.
»John! Bist du da unten?«
»Geh rauf!«, zischte Sid. »Tu so, als würdest du auf Flynn warten.«
»Bin schon da, Billy!«, rief John zurück.
Flynns Augen folgten ihm. Sid nahm ein langes, scharfes Messer, das John zum Durchtrennen der Leinen benutzte. Schweigend beugte er sich über Flynn.
»Ein Laut von dir, und ich geh rauf und knall Madden ab. Dann komm ich wieder runter. Aber dich werd ich nicht abknallen, sondern dir den Hals durchschneiden. Von einem Ohr
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