Die Wildrose
Viertelstunde, bis sie an ihrem nächsten Zielort ankamen, einer Werft in Millwall. BRISTOW stand in großen weißen Lettern auf einem der alten Backsteingebäude. Zwei Männer erwarteten sie auf dem Dock – einer saß in einem Rollstuhl, der andere lief, eine Zigarre rauchend, auf und ab.
Burgess blieb stehen, als er das Boot sah, und ging zum Rand des Docks, um die Leine zu fangen, die Sid ihm zuwarf. Nachdem das Boot vertäut war, ging Sid unter Deck, durchschnitt die Fesseln an Flynns Beinen und befahl ihm, die Leiter hinaufzuklettern. Sid schob ihn von unten, da er immer noch Handschellen trug, und John zog von oben. Gemeinsam schafften sie ihn vom Boot aufs Dock hinaus.
»George, Joe«, sagte Sid, »darf ich euch Jack Flynn vorstellen.«
Sir George schüttelte verblüfft den Kopf. »Hol mich der Teufel«, stieß er hervor. »Sie haben’s wirklich geschafft.«
»Passt auf ihn auf«, warnte Sid und befahl Flynn, sich auf den Boden zu setzen. »Der ist so glitschig wie ein Aal.«
Dann drehte er sich zu John um. »Geht jetzt«, sagte er leise. »Lasst London hinter euch. Und euer altes Leben.«
John nickte. »Sid, ich … ich weiß nicht, wie ich dir danken soll.«
»Dir hab ich’s zu verdanken, dass ich meine Kinder aufwachsen sehen kann. Mehr Dank brauch ich nicht. Geh jetzt. Je schneller du von Billy Madden wegkommst, umso besser.«
»Ich seh dich wieder, Sid«, erwiderte John. »Eines Tages.«
»Ganz sicher, John«, antwortete Sid lächelnd.
Sid machte die Leine los und warf sie John zu. Als das Boot ablegte, winkte er ihm nach. Er hoffte, dass er John wiedersähe, sehr sogar. Er wollte, dass alles gut wurde für John und dessen Familie, aber es gab keine Garantien. Es dauerte lange, sein altes Leben abzuschütteln. Wer wüsste das besser als er.
Sid winkte ein letztes Mal und drehte sich dann um. »Ein Problem wäre gelöst. Jetzt lasst uns Mr Flynn hier wegschaffen.«
Sie stellten Flynn auf die Füße. Halb zerrten und halb trugen sie ihn zum Lagerhaus. Joe folgte ihnen im Rollstuhl.
»Haben Sie das Telegramm abschicken können?«, fragte Sid Burgess.
Seitdem er den Inhalt von Jennies Umschlag mit all den Informationen über die Schiffe im Mittelmeer gelesen hatte, war er ganz krank vor Sorge um Seamie. Doch beim Verlassen der Quarantänestation hatte Joe ihm versprochen, Sir George Warnungen an das Marinekommando im Mittleren Osten und zu den Schiffen selbst senden zu lassen.
»Das haben wir getan«, sagte Burgess, »aber es ist ein langer und mühsamer Weg, eine Nachricht von London in den Mittleren Osten zu schicken. Wir haben an unsere Büros in Haifa telegrafiert und an die Exeter selbst, aber immer noch keine Bestätigung erhalten. In ein oder zwei Tagen aber hoffen wir, sie zu bekommen.«
»Gott sei Dank«, sagte Sid. »Das erleichtert mich. Wirklich!«
Gerade als Sid und Burgess mit ihrem Gefangenen die Lagerhalle betraten, wurden sie durch Rufe von einem einlaufenden Boot aufgehalten.
»Jack Flynn!«, rief eine männliche Stimme. »Hier ist Superintendent Stevens von Scotland Yard. Sie sind verhaftet. Geben Sie sofort auf!«
»Verdammter Mist!«, brüllte Sid, als ihn der Lichtstrahl eines Scheinwerfers blendete.
»Stehen bleiben! Ihr alle!«, ertönte die Stimme erneut. »Ergreift sie!«
Sie hörten Schritte auf dem Dock – viele Schritte. Innerhalb von Sekunden waren er, Joe und Sir George von Polizisten umringt.
»Wer sind Sie? Was machen Sie hier? Was soll das Ganze?«, stieß Burgess hervor.
»Ich bin Superintendent Stevens«, antwortete ein großer Mann in Uniform. »Ich bin hier, um Jack Flynn zu verhaften, wegen des Verdachts auf Hehlerei. Sie nehme ich ebenfalls mit zum Verhör.«
»Sie tun nichts dergleichen!«, widersprach Burgess und versperrte Stevens den Weg zu Flynn.
Stevens schob ihn vorsichtig, aber bestimmt zur Seite. »Ihr Name, Sir?«, fragte er Burgess, als er Flynn am Arm packte und zu sich zog.
»Sie wissen nicht, wer ich bin, Sie verdammter Idiot? Ich bin Sir George Burgess, Zweiter Seelord! Wenn Sie mich noch einmal anrühren, sorge ich persönlich dafür, dass Sie zum einfachen Polizisten degradiert werden. Und in einem gottverlassenen Nest in Cheshire auf Streife gehen. Übergeben Sie mir diesen Mann. Das ist ein deutscher Spion.«
Stevens nickte kurz seinen Männern zu, und einen Augenblick später hatte der Polizist Burgess, Joe und Sid Handschellen angelegt.
»Sie machen einen Fehler, Superintendent«, sagte Joe.
Stevens drehte sich um.
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