Die Wildrose
gewaschen?«
»Ja.«
»Die Zähne geputzt?«
»Ja.«
»Also, dann setz dich zu mir.« Seamie klopfte auf das Kissen neben sich.
James, im Pyjama, hielt Wellie, seinen Teddybären, an sich gedrückt und kletterte aufs Sofa.
Sie waren in Jennies altes Cottage gekommen, das jetzt Seamie gehörte, um hier gemeinsam eine Woche zu verbringen, nur sie beide allein. Während der letzten Wochen im Haus seiner Schwester hatten sie sich besser kennengelernt. James war anfangs sehr zurückhaltend gewesen, hatte sich aber zunehmend aufgeschlossener gezeigt und inzwischen sogar begonnen, ihn Daddy zu nennen. Als Seamie ihn fragte, ob er Lust hätte, das Cottage in Binsey zu besuchen und ein paar Winterwanderungen durch die Cotswolds zu machen, war James sofort Feuer und Flamme gewesen.
Seamie war zu einem Geschäft in der Jermyn Street mit ihm gegangen und hatte eine große Sache daraus gemacht, ihn mit Wanderstiefeln, Gamaschen, Wanderstock, wasserdichten Handschuhen und einer warmen Mütze auszustatten. Vor drei Tagen waren sie im Cottage angekommen und genossen es, selbst zu kochen, zu wandern, in Pubs zu essen, zu reden und am Feuer zu sitzen. Seamie hoffte, eines Tages auf richtige Klettertouren mit James zu gehen, aber seine Verwundungen waren noch immer nicht ganz ausgeheilt.
»Wenn du Lawrence nur ein einziges Mal hättest sehen können, dann hättest du dir gewünscht, es wäre der Moment gewesen, als er loszog, um Damaskus zu erobern.«
»Warum, Daddy?«
»Hör zu, dann erzähl ich’s dir«, antwortete Seamie. »Lawrence stand kurz davor, den größten Feldzug seines Lebens zu wagen, ein Feldzug, der das Schicksal vieler Nationen und ihrer Bewohner verändern würde. Er wollte eine Wüstenstadt erobern, die von türkischen Truppen verteidigt wurde. Wenn er Erfolg haben sollte, wäre dies ein tödlicher Schlag gegen die Feinde Englands gewesen, und er hätte nichts weniger erreicht als die Befreiung von ganz Arabien …«
Seamie beschrieb dem völlig faszinierten James, wie es im Lager von Lawrence kurz vor dem Marsch nach Damaskus zuging. Er erzählte ihm von den laut brüllenden Kamelen und den Tausenden Furcht einflößenden Beduinenkriegern. Er erzählte ihm von Lawrence, der gemeinsam mit Faisal und Auda an der Spitze der arabischen Aufständischen ritt. Er schilderte ihm den Anblick der drei Männer in ihren Gewändern mit ihren Gewehren auf dem Rücken – den königlichen Faisal, den kriegerischen Auda mit dem scharf geschnittenen Gesicht und durchdringenden Adlerblick und Lawrence in seiner weißen Robe, einerseits so englisch mit seinen blauen Augen, und doch ein Sohn Arabiens, der in diesem Moment zur Wüste und deren Bewohnern zu gehören schien.
Er berichtete ihm, dass es Stunden gedauert habe, bis alle Soldaten abgezogen waren. Von den Staubwolken in ihrem Schlepptau und dass es aussah, als bewegte sich ein Meer aus Männern auf Damaskus zu.
Und dann fragte James: »Aber Daddy, was hast du dort gemacht?«
»Wo? In dem Lager?«
»In der Wüste. Du als Marinekapitän, meine ich. Da ist doch kein Ozean in der Wüste.«
»Da hast du recht, James. Gut beobachtet.«
James lächelte stolz.
»Ich suchte eine Freundin in der Wüste. Diese Freundin hatte sehr hart auf der Seite von Major Lawrence gekämpft, war von der türkischen Armee gefangen genommen worden, konnte aber entkommen.«
»Hast du sie gefunden?«
»Ja, das habe ich. Und brachte sie ins Lager zurück.«
James rümpfte die Nase. »Ein Mädchen ist deine Freundin gewesen?«
Seamie lachte. »Ja, das stimmt«, antwortete er mit einem wehmütigen Unterton in der Stimme. Er fragte sich, was aus Willa geworden war. Seit er sie in Fatimas Obhut zurückgelassen hatte, hatte er nichts mehr von ihr gehört. Nur wenige Tage nach seinem Abschied von ihr war sein Schiff angegriffen worden. Albie, der wieder in Cambridge war und an den er geschrieben hatte, sagte, sie sei nun in Paris. Er habe aber momentan keine Adresse von ihr. Er habe einmal versucht, sie nach Hause zu holen, aber der Versuch sei missglückt und sie hätten seitdem keinen Kontakt mehr. Er gab Seamie ihre letzte Anschrift, aber sein Brief war ungeöffnet an ihn zurückgeschickt worden. Er fragte sich, ob sie von seinem Tod gehört und inzwischen erfahren hatte, dass er noch lebte. Bald würde er nach Paris fahren. Sobald er und James sich ein wenig eingerichtet hatten. Aber noch nicht gleich. Er war erst vor Kurzem wieder ins Leben des Jungen zurückgekehrt und durfte ihn
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